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Christian Lindner und Philipp Rösler beim Bundesparteitag der FDP im Mai 2011. Die Führungskrise bei den Liberalen spitzt sich nach Lindners Rücktritt zu.

© dpa

Nach Lindners Rücktritt: Die junge Garde der FDP ist fertig

Das Ende des Versuchs, die Ära Westerwelle mit jungen Gesichtern zu überwinden, beginnt mit der Selbstdemontage des Talentiertesten von ihnen, Christian Lindner. Nun ist auch von Röslers Rücktritt auszugehen.

Der Rücktritt des FDP-Generalsekretärs war seine Entscheidung; allerdings eine von der inneren (Un)freiheit eines Politikers, der sein Scheitern nicht mehr aufhalten kann. Christian Lindners Erklärung, sein Schritt könne eine „neue Dynamik“ auslösen, ist als Botschaft an den Parteivorsitzenden Philipp Rösler interpretierbar, von dessen Rücktritt nun ausgegangen wird. Das Wort ist auch ein Bekenntnis in eigener Sache. Die junge Garde der FDP ist fertig; das Ende des Versuchs, die Ära Westerwelle mit jungen Gesichtern zu überwinden, beginnt mit der Selbstdemontage des Talentiertesten von ihnen.

Zweifellos hat Rösler persönlich den Rücktritt seines Generalsekretärs ausgelöst, als er dem Unternehmen Mitgliederbefragung vorab – eine unfassliche Stümperei – das Aus bescheinigte. Lindner konnte sich nur aussuchen, ob er jetzt geht oder nach der Auszählung hinweggefegt wird. Wie immer die ausgeht, für die FDP gilt das Wort: Es rast der See, er will ein Opfer. Weil Lindner es schon gebracht hat, steht nur noch der Vorsitzende selbst für diese Rolle zur Verfügung. Er weiß es vielleicht, sieht man seinen gestrigen Auftritt, noch nicht. Aber sein politisches Schicksal verläuft längst in der gleichen Zwangsläufigkeit, der Lindner gestern nachgeben musste.

Ungerecht ist dieses Schicksal nicht. Diese junge Garde kam aus Westerwelles Schule. Ihr Versagen liegt darin, eine Idee und Politik nicht anzutasten, deren Zeit vorbei war: Westerwelles marktradikalen Liberalismus. Einen Aufstieg wie den auf fast 15 Prozent im Jahr 2009 und den steilen Absturz danach kann eine Partei nur überstehen, wenn sie ihn verarbeitet. Lindner und Rösler waren zu sehr Epigonen, Nachmacher von Westerwelles Denken und Unbescheidenheit, um nicht für möglich zu halten, was manchmal unmöglich ist: durch neue Gesichter, neue Stilistik, neue Etiketten („mitfühlender Liberalismus“) eine ganze Partei umzudefinieren, die sich bereitwillig einer politischen Linie total ergeben hatte. Tatsächlich kam, insbesondere von Rösler, immer nur weniger vom Alten: Wir werden liefern, Steuersenkungen. Aber eine Marktwirtschaft auf der Höhe der Zeit, zu der Freiheit gehört wie eine Ordnung der kolossal veränderten Märkte? Tabu für die FDP, tabu wie die Frage nach dem rasanten Aufstieg und Fall.

Vermutlich konnte die FDP bei der Wahl 2009, neben zahlreichen Gegnern der Großen Koalition, viele junge leistungsorientierte Individualisten sammeln, die an das vorher Geglaubte noch in dem Moment glauben wollten, als es vor ihren Augen zusammenbrach. An die neuen Chancen der globalisierten Welt statt der Hindernisse der deutschen Regelwut, der christ-sozial-demokratischen Umverteilerei. Doch Glaubenssätze, die bei Wählern ihre beste Zeit überdauern, brechen dann häufig besonders krachend zusammen. Das Vertrauen der FDP-Wähler von 2009 in die Fähigkeit „ihrer“ Partei, die eigenen Versprechen einzuhalten, ist in den Grundfesten erschüttert.

Wer die FDP retten will, müsste den Mut aufbringen, die alten Gewissheiten und die der eigenen Klientel zu erschüttern. Will der politische Liberalismus das Primat der Politik behaupten, eine Marktwirtschaft mit Regeln, Haftung, Verantwortung gestalten? Das ist, wie wir täglich besichtigen, verdammt schwer. Da braucht es mehr als einen Brüderle. Der könnte Parteichef werden, eine Bellheim-Lösung, die den Zerfall nicht verhindern wird. Und aus Zerfallsprozessen entstehen, wie man weiß, gelegentlich Zerfallsprodukte bisher unbekannter Art.

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