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Anhänger der AK-Partei freuen sich über den Ausgang des Referendums.

© Reuters

Nach Referendum: Die Türkei wird tischfein

Auch wenn sich einiges am Verfassungspaket kritisieren lässt, wird sich die EU nicht mehr lange um die Frage drücken können, ob sie die Türkei aufnehmen will oder nicht.

Jede neue Reform in der Türkei nimmt den europäischen Gegnern des Bewerberlandes ein weiteres Argument aus der Hand. Mit dem Reformschub des Referendums vom Sonntag steht die türkische Demokratie besser da als je zuvor. Die türkische Wirtschaft boomt, das Land entwickelt sich zu einer führenden Regionalmacht. Lange wird die EU sich nicht mehr um die Frage drücken können, ob sie die Türkei aufnehmen will oder nicht.

Sicher lässt sich einiges kritisieren an dem Verfassungspaket. Die Opposition wurde von der Regierung nicht eingebunden, sondern überrollt. Das vertiefte die bereits beträchtliche Spaltung der türkischen Gesellschaft in zwei Lager: Anhänger und Gegner von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Dennoch sind die demokratischen Fortschritte beträchtlich. Die Macht der Militärs wird weiter eingeschränkt, Putschisten können vor Gericht gestellt werden. Auch die Justiz wird reformiert, was dringend notwendig ist. Erdogans Gegner sagen zwar, die Neuordnung weiche die Gewaltenteilung auf. Doch die EU sieht kein Problem darin, das Parlament stärker als bisher an der Auswahl von Verfassungsrichtern zu beteiligen. Die EU-Kommission begrüßte das Reformwerk als Schritt zur Erfüllung der Beitrittskriterien.

Genau hier liegt der Haken für die Europäer. Als die EU vor fünf Jahren Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnahm, geschah das ohne Konsens darüber, ob die Türkei am Ende der Verhandlungen auch tatsächlich Mitglied werden darf. Die Türken seien noch so weit von der Beitrittsfähigkeit entfernt, dass man sich noch später überlegen könne, ob man sie wirklich im Club haben wolle, lautete damals die Überlegung.

Beitrittsfähig ist die Türkei auch nach dem Referendum nicht. Doch sie hat gezeigt, dass sie ihre Defizite kennt und anpackt. Die Wirtschaftsreformen, die demokratischen Fortschritte und eine neue, aktivere Außenpolitik haben das Land zu einem Faktor werden lassen, an dem im Nahen Osten niemand mehr vorbeikommt. Inzwischen habe die Türkei mehr Einfluss in der Welt als jeder EU- Staat für sich alleine genommen, sagte der finnische Außenminister Alexander Stubb erst vor wenigen Tagen. Und Ankara setzt diesen Einfluss ein, wenn auch nicht immer im Sinne des Westens. Der versuchte Atomkompromiss der Türken mit dem Iran und die jüngste Krise im Verhältnis mit Israel haben in Europa und den USA die Befürchtung ausgelöst, die Türkei drifte vom Westen weg. Ankara bestreitet das.

Tatsächlich lässt sich das Referendum als Beleg dafür lesen, dass die Türkei weiter auf westliche Strukturen setzt. Ein Land, das sich orientalischen Despotien zuwenden will, führt kein individuelles Klagerecht für seine Bürger vor dem Verfassungsgericht ein, und es schafft auch kein Ombudsmann-System, um die Verwaltung transparenter zu machen. Ihre Vorbilder sieht die Türkei nach wie vor in Europa, nicht in Teheran.

Zu einem Problem für die EU wird der Aufstieg der Türkei nicht wegen einer angeblichen Ost-Orientierung Ankaras, sondern weil die Europäer nicht wissen, was sie mit den Türken anstellen sollen. Welche Folgen hat es, dass die Türkei heute wesentlich demokratischer, wirtschaftlich stärker und regionalpolitisch mächtiger ist als noch vor einigen Jahren? Wird sie damit für die EU attraktiver? Oder ist sie plötzlich zu stark und groß, so dass sie als Mitglied einen Platz am Tisch der EU-Großmächte fordern könnte? Die EU hat darauf noch keine Antworten.

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