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Deutsche Kinder und Jugendliche leben besser als solche aus anderen Ländern der Welt - und trotzdem sind viele Mädchen und Jungen in Deutschland unglücklich. Das hat eine Studie der UN-Kinderhilfsorganisation Unicef ergeben.

© dpa

Nach Unicef-Studie zum Wohlbefinden von Kindern: Deutscher Kinderschutzbund kritisiert Politik

„Die Politik arbeitet komplett an den Kindern vorbei“, meint Heinz Hilgers, Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes. Den Kindern in Deutschland gehe es zwar gut, sie würden sich jedoch schlecht fühlen. Aber was sagt der Gefühlshaushalt von Kindern eigentlich aus?

Es ist natürlich nicht gut, dass Kinder, denen in diesem Land die Zukunft gehört, darüber unglücklich werden. Es sollte anders sein. Hat Deutschland jetzt ein Problem?

Das Land könnte eins bekommen, wenn es Studien wie die von Unicef zur Situation der Kinder in Industrieländern als politisches Alarmsignal begreift, wie der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, es schon von Berufs wegen tut. Die Ergebnisse zeigten, sagt er, „dass die Politik offensichtlich komplett an den Kindern vorbeiarbeitet“. Aber ist es nicht ziemlich gefährlich, sich auf den Gefühlshaushalt von elf bis 15-Jährigen zu verlassen?

Die Unicef ist wichtig. Ihr Wort hat Gewicht. Und auch diesmal wieder kann man nicht darüber hinweggehen, was sie über das Wohlbefinden jener Kinder herausgefunden hat, die in den sichersten und reichsten Ländern der Welt leben. Es geht ihnen gut, aber sie fühlen sich schlecht. So sieht es in Deutschland aus.

Es sind eben deutsche Kinder. Denkt man. Aufgewachsen in einer Kultur notorischen Unzufriedenseins. Wahrscheinlich sollte man uns gar nicht erst nach unseren Gefühlen fragen. Sonst kommt eben das heraus: Statt die Leichtigkeit einer Lebensphase zu spüren, in der andere, die Eltern nämlich, noch die Verantwortung für einen selbst tragen, und das Zutrauen in die Fähigkeiten, sich Glück zu verschaffen, die besten Voraussetzungen hat, sind die Kinder offenbar bereits überlastet. Von Leistungsansprüchen erdrückt. Diesen Schluss zieht zumindest die familienpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Caren Marks. Dabei ist der materielle Wohlstand so hoch wie kaum sonst in Europa, Bildung und Gesundheit sind sogar besser geworden. Trotzdem hat Deutschland seinem Nachwuchs offenbar zu wenig zu bieten.

Über die Ursachen dieser Diskrepanz schweigen sich die Gutachter aus. Hans Bertram, Mitglied des deutschen Unicef-Komitees, wagt trotzdem die These, „dass sich viele Kinder und Jugendliche ausgeschlossen fühlen“.

Woher er das weiß? Bertram sagt es nicht. Es könnte sich auch genau so gut umgekehrt verhalten. Denn statt ausgeschlossen zu werden, sind Kinder heute viel früher und direkter mit den Sorgen ihres Umfeldes konfrontiert. Die Grenze zwischen Erwachsenen und Kindern, die früher eine autoritäre Barriere und eine Schutzmauer darstellte, löst sich auf. So machen sich Teenager Unsicherheiten zu eigen, die gar nicht die ihrigen sind, sondern die der Erwachsenen.

Obwohl das Land relativ schadlos für den Einzelnen durch die Eurokrise gekommen ist, bestätigen Umfragen immer wieder das pessimistische Selbstbild der Deutschen. Nichts ist gut genug. Vereinbarkeit von Karriere und Beruf, Arbeitsplatzsicherheit, Kinderbetreuung, Gleichstellung. Für all das Unbehagen gibt es gute Gründe – und ein Grundgefühl.

Es ist das Dilemma der Überflussgesellschaft, dass Gefühle politisch relevant werden, die den Rahmen des Politischen eigentlich sprengen. Glück ist so ein Gefühl. Noch vor ein paar Jahren wäre niemand auf den Gedanken gekommen, seine persönliche Zufriedenheit von der Politik oder der Gesellschaft abhängig zu machen. Das ist heute anders. Und für das Glück von Kindern wird dieser Anspruch erst recht erhoben.

Wenn nun eines der 5000 befragten Kinder sagt, man müsse, um einen guten Job zu bekommen, „halt immer gute Noten schreiben”, dann liegt es nicht falsch. Soll man ihm sagen, dass auch Schulversager es weit bringen? Dass der Fachkräftemangel das Problem erledigt? Dass es die Sache entspannter angehen soll? Eine Last wird man ihm nicht nehmen können, zu wissen, wie es sich fühlt.

Da in Deutschland von all den Dingen, die konsumiert werden können, mehr als reichlich existiert, wird etwas anderes wichtig – das Lebensgefühl. Und das ist hierzulande – man muss es so sagen – in der Krise. Muss die Jugend nicht zwangsläufig davon ausgehen, dass Politik auf ihrem Rücken gemacht wird? Ob Schulden- oder Umweltdebatte, stets werden Kosten, die heute entstehen, auf die nächste Generation verlagert, ohne dass es in Deutschland eine Übereinkunft gäbe, was die Gemeinschaft erreichen will. Das Selbstbild fehlt. Was schon Nietzsche veranlasste, vor der Unberechenbarkeit der Deutschen zu warnen.

Soll man den heute 15-Jährigen Hoffnung auf bessere Zeiten machen? Paul Celan hat gesagt: „Ich war 18, und niemand soll behaupten, es sei die glücklichste Zeit meines Lebens gewesen.“

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