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Nach Vorwürfen gegen Jakob Augstein: Ich will auch auf die Antisemiten-Liste!

Wenn Jakob Augstein Deutschlands schlimmster Antisemit wäre, dann hieße dies, dass es in Deutschland keinen wirklich gefährlichen Antisemitismus mehr gibt, meint Martenstein. Und fragt sich, ob es für ihn für Platz acht reicht: "Oder sind Judith Butler und Avi Primor noch ein bisschen antisemitischer als ich?"

In dieser Woche hat das Simon-Wiesenthal-Zentrum seine Liste der zehn schlimmsten Antisemiten der Welt veröffentlicht. Man kennt dieses Verfahren von der „Liste der peinlichsten Berliner“, die ein Stadtmagazin regelmäßig veröffentlicht. Auf Platz neun, hinter den Moslembrüdern und dem iranischen Regime, befindet sich ein weithin respektierter deutscher Journalist und Verleger, Jakob Augstein.

Ich frage mich, wie man so etwas misst. Da wäre ich gerne in der Jurysitzung dabei gewesen, wenn sie diskutieren, warum der eine auf Platz sieben gehört und der andere nur auf Platz acht. Und dann warte ich natürlich auf weitere Hitparaden, die zehn dümmsten Schwabenhasser, die zehn bestverdienenden Kanzlerkandidaten, nicht zu vergessen die zehn aggressivsten Israelverteidiger.

Dem Simon-Wiesenthal-Zentrum gebührt das traurige Verdienst, das Thema Antisemitismus zu einer Kabarettnummer gemacht zu haben. Von Jakob Augsteins Antisemitismus lässt sich sagen, dass er aus Kritik an der Siedlungs- und Besatzungspolitik der israelischen Regierung besteht. Da fragt man sich unwillkürlich, wieso Angela Merkel nicht ebenfalls auf der Liste steht. Von mir ganz zu schweigen! Ich will auch auf die Liste. Ich sage jetzt mal, dass die israelische Politik in puncto Korruption (Premier Netanjahu, Ex-Premier Olmert, Außenminister Lieberman), in puncto Sittenskandale (Expräsident Katzav, verurteilt wegen Vergewaltigung) sowie in puncto unzurechnungsfähiger Politik, auch gegen Freunde, in der Geschichte der Demokratien am ehesten mit Italien unter Silvio Berlusconi zu vergleichen ist. Reicht das für Platz acht, oder sind Judith Butler und Avi Primor noch ein bisschen antisemitischer als ich?

Die Idee, Kritiker mit einem Bannfluch zu belegen, stammt ursprünglich vom Vatikan. Und das Copyright auf die Idee, Jakob Augstein wegen seiner Kritik an einer nationalistischen Regierung zum Verbrecher zu erklären, sozusagen für vogelfrei, besitzt Henryk M. Broder. Er hat Augstein auch schon mit dem Nazihetzer Julius Streicher verglichen. Eine Klage gegen Broder hätte Augstein sicher gewonnen. Nein: Gegen Broder klagt man nicht. Außer vom Wiesenthal-Zentrum wird der von keinem mehr ernst genommen. Der Mensch, den Broder nicht für einen der zehn schlimmsten Antisemiten der Welt hält, muss nämlich erst noch geboren werden.

Nicht die Neonazis sollen also Deutschlands schlimmste Judenhasser sein – nein, ein Journalist, der gegen Israels Regierung polemisiert. Wenn Jakob Augstein Deutschlands schlimmster Antisemit wäre, dann hieße dies, dass es in Deutschland keinen wirklich gefährlichen Antisemitismus mehr gibt. Eigentlich stellt das Wiesenthal-Zentrum Deutschland ein prima Zeugnis aus.

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