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Meinung: Nachbeben im Wohnzimmer

Von Clemens Wergin

Ob Afghanistan, Irak oder Libanon: Die Konflikte der Gegenwart sind asymmetrisch, weil geordnete Armeen einer diffus organisierten und vielfältig kämpfenden Terror-Guerilla gegenüberstehen. Dazu gehört auch, dass die Gegenseite besser Bescheid weiß über uns als wir über sie. Die Hisbollah liest den Winograd-Bericht, der die Schwächen der israelischen Kriegsführung auflistet, genauer als viele Israelis. Die Aufständischen im Irak können im Internet verfolgen, dass der Rückhalt für die Truppenpräsenz im Irak in Amerika schwindet. Und die Taliban müssen nicht mal Deutsch sprechen, um nachzuvollziehen, wie die deutsche Heimatfront bei jedem Anschlag auf die Bundeswehr wankt. Es ist eine Achillesferse offener Gesellschaften, sich leicht in den Zustand öffentlicher Erregung versetzen zu lassen. Wer jetzt den Rückzug aus Afghanistan fordert, sollte wissen, wem er damit in die Hände spielt.

Wie die Taliban denken, hat der afghanische Außenminister einmal am Beispiel der letzten Sommeroffensive erklärt. Damals hätten die Gotteskrieger vor allem europäische und kanadische Kontingente angegriffen, weil sie glaubten, dass deren Gesellschaften schneller zum Rückzug zu bewegen sind. Wenn die Taliban jetzt die Bundeswehr attackieren, folgt das keiner im engeren Sinne militärischen Logik – dazu ist ihr Rückhalt im Norden zu schwach. Vielmehr hoffen sie, dass ihr Sprengsatz medial verstärkt seine Wirkung in deutschen Wohnzimmern entfaltet. Zwar steht die deutsche Politik noch zum Einsatz in Afghanistan. Es rächt sich aber nun, dass der stets als bloße humanitäre Hilfsaktion verbrämt wurde – und man zu erwähnen vergaß, dass die Zivilgesellschaft, die die Bundeswehr hilft aufzubauen, auch mit militärischer Macht verteidigt werden muss.

Die Taliban haben eine tödliche Medienoffensive gestartet. Den Kampf um die deutsche Öffentlichkeit wird die Politik auf lange Sicht nur gewinnen, wenn sie überzeugender begründet, warum unsere Sicherheit tatsächlich am Hindukusch verteidigt wird. Und warum wir die Nato auch in Zukunft brauchen und es uns nicht leisten können, dass das Bündnis den Konflikt mit den Taliban verliert.

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