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Meinung: Nahost: Die falsche Intifada

Dass der Anschlag vom 11.September massive Auswirkungen auf den Nahostkonflikt haben würde, war der Palästinenserführung und allen voran Jassir Arafat deutlich bewusst.

Dass der Anschlag vom 11.September massive Auswirkungen auf den Nahostkonflikt haben würde, war der Palästinenserführung und allen voran Jassir Arafat deutlich bewusst. Klar und unmissverständlich distanzierte sich Arafat von den Attentätern und ihren Zielen, und er stieß damit auf breite Unterstützung in den Autonomiegebieten. Der palästinensische Befreiungskampf hat nichts gemein mit dem Terror gegen die westliche Welt - diese Botschaft kam nicht ohne Grund. Die Palästinenser fürchteten, die USA würden nun dem israelischen Premierminister Ariel Scharon freie Bahn für ein militärisches Vorgehen gegen den islamischen Extremismus in den Palästinensergebieten geben.

Doch Washington brauchte für den Krieg gegen Afghanistan zumindest die Duldung der arabischen Staaten. Ohne eine Lösung des Nahost-Konflikts ist der Kampf gegen den internationalen Terror nicht dauerhaft zu gewinnen - diese Erkenntnis brachte die Bush-Regierung dazu, sich wieder im Nahen Osten zu engagieren und auch Israel verstärkt zur Zurückhaltung zu mahnen. Doch die Hoffnung der Palästinenser, die USA würden den Druck auf Israel dauerhaft erhöhen, zerschlug sich mit dem amerikanischen Veto gegen eine UN-Resolution, in der die Gewalt beider Seiten - insbesondere gegen Zivilisten - verurteilt werden sollte.Verantwortlich dafür waren allerdings auch die Palästinenser selbst. Die Selbstmordattentate in Israel waren nach dem 11. September nicht weniger geworden, im Gegenteil. Die Gewalt hatte einen neuen Höhepunkt erreicht.

Die Palästinenser hatten etwas Entscheidendes völlig übersehen: Die Akzeptanz von Gewalt, auch in einem nationalen Befreiungskampf, ist in den USA und auch in Europa nach dem 11. September extrem gesunken. Auch die palästinensische Führung hatte ihre politische Strategie nicht überdacht. Hätte sie das getan, wäre schnell klar geworden, dass der bewaffnete Widerstand, zumindest aber Selbstmordattentate, nur der Argumentation Scharons in die Hände spielen, der gesamte Widerstand gegen die israelische Besatzung sei Terrorismus. Diese israelische Sicht des Konflikts hat sich nun durchgesetzt. Sogar bei den Europäern, die eine ausgewogenere Haltung in dem Konflikt einnehmen. Auch die Europäische Union forderte Arafat mit allem Nachdruck auf, gegen den extremistischen Terror in den Autonomiegebieten vorzugehen und den Waffenstillstand endlich durchzusetzen. Die Palästinenserführung ist also wieder einmal daran gescheitert, dass sie die weltpolitischen Veränderungen nicht richtig interpretiert hat. Sonst hätte sich vielleicht die Chance geboten, mit guten Argumenten den bewaffneten Widerstand zu beenden und zum jenem Widerstand zurückzukehren, der die erste Intifada ausgemacht hatte. Diese hatte ihnen den moralischen Sieg über die Israelis beschert, wenn auch trotz siebenjähriger Verhandlungen und zahlreichen Zugeständnissen noch keinen eigenen Staat.

Diese tiefe Enttäuschung ist einer der Gründe, warum ein solcher Strategiewechsel möglicherweise auch gar nicht durchzusetzen gewesen wäre. Denn die Palästinenser sind mittlerweile davon überzeugt, dass sie auch bei Wohlverhalten nicht die Unterstützung des Westens und der USA erhalten, die zur Lösung des Problems notwendig wäre. Und so flüchten sich viele Palästinenser vor wie nach dem 11. September in den verzweifelten Glauben, dass es Gerechtigkeit geben müsse - und dass man sie mit Gewalt erreichen kann. Mit fatalen Folgen.

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