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Meinung: Nahost: Die falschen Siege

Bei der israelischen Bevölkerung lösten die Ereignisse des 11. September einen Schock aus, der heute noch nachwirkt.

Bei der israelischen Bevölkerung lösten die Ereignisse des 11. September einen Schock aus, der heute noch nachwirkt. Galt bis damals noch nach jedem Terroranschlag im eigenen Land die Parole "Wir lassen uns nicht unterkriegen, wir machen weiter!", so hat sich dies nun radikal geändert: Erstmals am 11. September und seither nach jedem größeren Anschlag verkriechen sich die Israelis sofort für den Rest des Tages zu Hause - der Handel kommt praktisch zum Stillstand, die Umsatzkurve der Kreditkartenfirmen sinkt in den Null-Bereich.

Auf politischer Ebene hat sich vor allem die äußerste Rechte auf die neue Lage eingestellt und sie für sich auszunützen versucht. Ihre Formel: "Terror ist Terror ist Terror" ist von Ministerpräsident Ariel Scharon offensichtlich unbesehen übernommen worden: Es gibt keinen Terror mit berechtigtem politischen Hintergrund. Alle bewaffneten oder gewalttätigen Gegner werden von Scharon in den gleichen Terroristen-Korb geworfen: Die libanesische "Hisbollah", die islamistischen "Hamas" und der "Islamische Jihad", die aufständischen "Tanzim", die palästinensisch-nationale "Fatah". Was Scharon ganz offensichtlich verstanden hat ist die Ausnützung der sich ihm durch die Twin-Tower-Anschläge anbietenden einmaligen Chance für seine kompromisslose und zuvor auch in den USA kritisierten Politik gegenüber den Palästinensern. Für sie hat er plötzlich weltweit Verständnis und in Washington gar fast volle Rückendeckung erhalten. Selbst seine ultimativen Maximal-Forderungen an die Adresse des Palästinenserpräsidenten wie diejenige nach einer längeren Feuerpause als Vorbedingung für einen Waffenstillstand werden nun von Bush und Powell nicht einfach zurückgewiesen. Vielmehr wird zuerst vergeblich versucht, sie aufzuweichen, danach wird ihnen nachgegeben und schließlich die palästinensische Gegenseite allein schuldig gesprochen.

Die starre Unnachgiebigkeit Scharons machte sich für ihn während der vergangenen Monate bezahlt. Zwar wurde er in den ersten Wochen nach dem 11. September dafür kritisiert, dass er mit seinen Strafmaßnahmen und Vergeltungsschlägen gegen die Palästinenser die Bemühungen der USA, Arafat und dessen Palästinensische Autorität in ihre Anti-Terror-Koalition einzubinden, unterminiere. Doch danach setzten die Amerikaner den zuvor umworbenen Palästinenserpräsidenten unter Druck und wiesen dessen Klagen über Israels Vorgehen gegen ihn als unbegründet zurück, weil Israel im Recht sei.

Die israelische Linke ist durch den 11. September und die seitherige amerikanische Nahostpolitik praktisch zum Verstummen gebracht worden. Was soll sie einem bei seinen eigenen Landsleuten immer populärer werdenden Regierungschef entgegnen, der sich in seinem Kurs vollkommen bestätigt fühlt? und dem weltweit attestiert wird, er habe mit seinen Warnungen vor islamistischem Terror Recht behalten?

Natürlich wird Scharon so zu keinem Friedensschluss mit den Palästinensern kommen. Dazu fehlen ihm die konkreten Pläne, wie sein Außenminister Schimon Peres mehr oder weniger offen eingesteht, beziehungsweise kritisiert. Und es fehlt ihm wohl auch der Wille, sei es aus Überzeugung oder aus Angst um seine große Koalition, aus welcher der übermächtige nationalistische Flügel im Falle eines Friedensschlusses ausbrechen würde. Längerfristig kann und wird es nur Fortschritte im Nahost-Konflikt geben, wenn die USA endlich Druck machen - und zwar auf beide Seiten.

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