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Meinung: Nahost: Ein Ort, um Mauern einzureißen

Kann man Normalisierung noch steigern? Vielleicht so: Wenn es wie Rehabilitierung wirkt.

Kann man Normalisierung noch steigern? Vielleicht so: Wenn es wie Rehabilitierung wirkt. Ein Jahrzehnt ist Berlin jetzt Hauptstadt des vereinten Deutschlands. Eines Landes, dessen Namen man wieder ohne Vorbehalt nennt, vor dessen Macht und Einfluss weder die Nachbarn Angst haben müssen noch sonst jemand in der Welt. Und doch weitet die Nachricht des gestrigen Tages die historische Dimension: Berlin als Ort eines Nahostgipfels, womöglich schon in der kommenden Woche. Deutschland als Vermittler zwischen Israelis und Palästinensern, rund 60 Jahre, nachdem hier der Holocaust geplant worden war. Das ist: ein kleines Wunder. Wie auch die überraschende Erkenntnis, dass man offenbar nicht mehr bang fragen muss, ob die ältere Generation in Israel ablehnend reagieren werde.

Noch ist es nicht ausgemacht, dass sich Palästinenser-Präsident Jassir Arafat und Israels Außenminister Schimon Peres in Berlin treffen. Das ist - bisher - nur ein Vorschlag Arafats. Aber auch im israelischen Außenministerium scheint man Gefallen daran zu haben. Und Premier Ariel Scharon hat nicht abgelehnt. Sicher, diesmal geht es nicht um einen großen Gipfel wie in Oslo, Stockholm oder Camp David, wo ganze Pakete für einen umfassenden Frieden verhandelt wurden. Diesmal soll lediglich über einen Waffenstillstand gesprochen werden - aber immerhin als Einstieg in einen weiterführenden Dialog. Nach zehn Monaten Intifada mit tausenden Toten und unzähligen Bombenanschlägen ist das nicht gering zu schätzen.

Wer weiß, vielleicht war Joschka Fischer auch nicht ganz so überrascht, wie er sich gab, als Arafat Berlin vorschlug. Er habe die Ortswahl nicht betrieben, sagt Fischer - seriöse Vermittler bringen sich eben nicht selbst ins Spiel. Jedenfalls nicht öffentlich. Aber kamen die positiven Rückmeldungen aus Israels Regierung nicht ziemlich schnell - zu schnell, als dass Arafat der alleinige Auslöser gewesen sein könnte?

Es gebe andere Ort als Berlin, sagt Fischer. Näherliegende. Gewiss doch, Arafat und Peres könnten sich auch in Gaza, Kairo, Madrid treffen. Aber warum sollten sich andere den Sicherheitsaufwand und die Beeinträchtigungen für die Bürger aufhalsen, die so ein Gipfel nun einmal auch mit sich bringt, wenn Deutschland die Lorbeeren erntet? Es ist nicht reiner Zufall, dass der deutsche Außenminister nun schon zum zweiten Mal als Mittler dienen kann. An Pfingsten hatte er nach dem Selbstmordanschlag auf eine Diskothek in Tel Aviv eine Eskalation der Gewalt zunächst verhindern können. Fischer genießt Vertrauen auf beiden Seiten. Die frühe Nähe des Straßenkämpfers Fischer zu Arafat, die man ihm kürzlich noch zum Vorwurf machte, erweist sich jetzt als Chance. Genauso wie die heutige Nähe des Außenministers Fischer zu Israel, sein Gespür für Deutschlands historische Verantwortung. Wer könnte auch sonst derzeit erfolgversprechend vermitteln? George W. Bush hat mit seiner Passivität Europa die Tür geöffnet. Frankreich hat sich zu sehr auf die arabische Seite geschlagen. Die deutsche Karte wurde im Nahen Osten noch nicht gespielt, deshalb ist sie nicht abgenutzt. Das macht ihren Wert aus.

So viele Erwartungen von Mazedonien bis Nahost - da muss Joschka Fischer nur aufpassen, dass Deutschland nicht Außenpolitik über seine Verhältnisse betreibt. Noch steht Berlin als Ort des Nahostgipfels nicht fest. Es wäre aber ein guter Ort. Berlin hat die Kraft der Symbolik. Der Name steht ja nicht nur für die Verbrechen der Nazis, sondern auch für den Mauerfall - und für die Hoffnung, dass Spaltung und Konflikte friedlich überwunden werden können.

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