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Meinung: Nahost: Wer, wenn nicht Arafat?

Schon einmal hat der israelische Premier Ariel Scharon versucht, Jassir Arafat loszuwerden. 1982 leitete er die Invasion des Libanon - unter anderem um den Palästinenserführer zu töten.

Schon einmal hat der israelische Premier Ariel Scharon versucht, Jassir Arafat loszuwerden. 1982 leitete er die Invasion des Libanon - unter anderem um den Palästinenserführer zu töten. Heute sitzt der Friedensnobelpreisträger als Präsident der palästinensichen Autonomiebehörde in Gaza und ist der Verhandlungspartner Israels.

Jetzt, fast 20 Jahre später, will Scharon den unliebsamen Widersacher mit anderen Mitteln wegdrängen: Israel versucht seit Wochen, Arafat mit einer gezielten Kampagne zu schwächen und zu diskreditieren. So hat Scharon ihn zuletzt in Washington als "Haupthindernis" für den Frieden in Nahost bezeichnet und die US-Regierung davor gewarnt, Arafat in Washington zu empfangen. Verteidigungsminister Ben-Eliezer hat die Autonomiebehörde als terroristische Organisation eingestuft. Vertraute und Leibwächter Arafats wurden von Israel getötet, weil sie in terroristische Aktivitäten verwickelt seien. Gleichzeitig beteuert die israelische Regierung aber, mit den Palästinensern verhandeln zu wollen, sobald Ruhe eingekehrt sei. Aber mit wem eigentlich?

Mit dieser Strategie unterlaufen Scharon zwei Fehler: Egal, wie heftig Arafat und seine Behörde intern auch kritisiert werden, es ist völlig unwahrscheinlich, dass Arafat von seinen eigenen Leuten abgesetzt wird. Trotz der kläglichen Bilanz seiner korrupten Autonomiebehörde hat Arafat die Aura des historischen Führers, die ihm niemand so schnell streitig machen kann. Er ist zudem PLO-Chef und Fatah-Führer und leitet damit die verschiedenen Machtzentren in den Palästinensergebieten alle selbst. Die beiden stärksten Konkurrenten Arafats, Abu Jihad und Abu Iyad, leben nicht mehr. Sie wurden von Israel bzw. einer palästinensischen Fraktion ermordet. Außerdem hat Arafat die Kontrolle über die diversen Sicherheitsapparate, für die etwa 35 Prozent des Budgets der Autonomiebehörde ausgegeben wird.

Manche westliche Medien haben indes den charismatischen Führer der Fatah in Ramallah, Marwan Barghouti, als ernsthaften Herausforderer Arafats porträtiert. Doch das ist Unsinn: Barghouti ist ein kleiner Fisch, der in Ramallah und Umgebung sehr populär ist - doch schon in Nablus und Hebron hat die Fatah-Jugend eigene Führer. Er ist direkt von Fatah-Boss Arafat abhängig, auch schon finanziell. Arafat lässt Leute wie Barghouti walten, weil er ein Gespür für die Volksstimmung hat, die sich artikulieren soll. Arafats Devise lautet, alle gesellschaftlichen Strömungen innerhalb der eigenen Organisation aufzunehmen, anstatt sie der Konkurrenz, beispielsweise der Hamas, zu überlassen. Dies bedeutet aber nicht, dass Arafat die Kontrolle über die Straße verliert, er orchestriert diese Vielfalt vielmehr.

Doch die israelische Regierung verrechnet sich auch, wenn sie von einem anderen Palästinenserführer mehr Zugeständnisse erwartet. Denn nur Arafat kann historische und schmerzliche Kompromisse durchsetzen - zumindest bis zu einem bestimmten Grad. Einer der großen Fehler der bisherigen Verhandlungen war, stets nur dem israelischen Regierungschef zuzugestehen, dass seine Bevölkerung ihm bestimmte Grenzen für Kompromisse setze. Das gilt auf palästinensischer Seite ebenso - auch wenn es hier keine mit Israel vergleichbaren demokratischen Strukturen gibt. Schon deshalb wäre es äußerst fraglich, ob beispielsweise Abu Mazen, die Nummer zwei, den Israelis weiter entgegenkommen könnte als Arafat - selbst wenn er es wollte.

Sicher gibt es in der Fatah-Führung eine Spaltung, in der Mitglieder der so genannten Friedensbourgeoisie für mehr Nachgiebigkeit plädieren. Dazu gehören Leute, die durch Wirtschaftsbeziehungen mit Israel reich geworden sind und die Führer von Sicherheitsapparaten, die vom CIA mit aufgebaut wurden und dank deren finanzieller Zuwendungen auch eine gewisse Unabhängigkeit und Macht erlangt haben. Wer solche Privilegien zu verteidigen hat, will normale Beziehungen zu Israel. Doch diese Friedensgewinnler sind derzeit in der Bevölkerung äußerst schlecht angesehen und die Security-Chefs werden wiederum durch andere Sicherheitsapparate im Zaum gehalten.

Zudem ist recht klar, dass kein Nachfolger Arafats alle Machtzentren in einer Hand vereinen wird: Der Präsident der Autonomiebehörde wird nicht gleichzeitig Fatah-Chef und PLO-Chef sein. Die personelle Trennung dieser Ämter könnte die palästinensische Politik paralysieren und Verhandlungen keineswegs einfacher machen.

All dies wissen auch die Israelis. Ihre derzeitige Kampagne hat daher wohl den Sinn, Zeit und das Wohlwollen der USA zu gewinnen. Je mehr man Arafat verteufelt, desto leichter kann man das harsche und international kritisierte Vorgehen gegen die Palästinenser rechtfertigen. Israel kann seinen Verhandlungswillen beteuern, ohne ihn unter Beweis stellen zu müssen, weil es auf der anderen Seite ja keinen Partner gibt. Doch am Ende wird wohl Arafat wieder am Tisch mit Scharon - oder mit dem nächsten israelischen Regierungschef - sitzen.

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