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Meinung: Nahost: Zu wenig Kompromisse, zu viel Gewalt

Der israelische Premier Ariel Scharon hat seinen Wählern Frieden und Sicherheit versprochen. Das einzige Konzept, das er dafür bisher vorgelegt hat, ist: Über politische Zugeständnisse wird erst verhandelt, wenn die Gewalt gegen israelische Bürger ein Ende hat.

Der israelische Premier Ariel Scharon hat seinen Wählern Frieden und Sicherheit versprochen. Das einzige Konzept, das er dafür bisher vorgelegt hat, ist: Über politische Zugeständnisse wird erst verhandelt, wenn die Gewalt gegen israelische Bürger ein Ende hat. Gleichzeitig bekämpft er unbarmherzig alle potenziellen Gefahrenquellen und spielt die Überlegenheit der israelischen Besatzungsarmee aus, um die Palästinenser in die Knie zu zwingen - auf eine Weise, die auch die USA als unverhältmäßig bezeichnen.

Dazu gehört es zum Beispiel, des Terrors verdächtige Palästinenser ermorden zu lassen. Und mit schwerem Geschütz von Kriegsschiffen und Panzern "präventiv" auf Einrichtungen der palästinensischen Autonomiebehörde zu schießen. Flüchtlingslager, aus denen heraus geschossen wurde, werden teilweise abgerissen und Hunderte Häuser zerstört, sodass deren Bewohner obdachlos werden. Oliven- und Obstbäume werden mit Bulldozern entwurzelt, bebautes Ackerland wird zerstört, weil es palästinensischen Schützen Unterschlupf gewährt hat oder gewähren könnte. Verbindungsstraßen zwischen palästinensischen Dörfern werden mit Wällen aus Erde und Betonblöcken versperrt. Schweres Kriegsgerät wird gegen Zivilisten eingesetzt. In den jüngsten Wochen ließ Scharon die Armee mehrfach in so genannte A-Gebiete eindringen, die völliger palästinensischer Kontrolle unterstehen. Arafats Leute sehen darin eine Eskalation des israelischen Vorgehens.

Mehr Sicherheit hat das Israel bisher nicht gebracht, aber mehr Hass. Israel begründet dieses Vorgehen mit den Angriffen der Palästinenser - und wirft ihnen ebenfalls eine "neue Qualität" der Eskalation vor. Extremisten haben seit Ausbruch der Intifada die Selbstmordattentate in Israel wieder aufgenommen, insgesamt gab es 24 Anschläge oder versuchte Anschläge. In den besetzten Gebieten werfen sie mit Steinen, stechen mit Messern, schießen mit Gewehren. Insgesamt starben etwa 80 Israelis, rund 900 wurden verletzt.

In der Tat ist es die derzeitige Strategie von Palästinenserpräsident Arafat, der Gewalt in den besetzten Gebieten freien Lauf zu lassen. Er hat Hamas-Aktivisten aus dem Gefängnis entlassen und zur Fortsetzung der Intifada aufgerufen. Deren Ausbruch war nach den Untersuchungsberichten jedoch nicht von der Palästinenserbehörde geplant worden. Mit dem Aufstand will Arafat im Nachhinein rechtfertigen, dass er das israelische Angebot in Camp David abgelehnt hat.

Mag sein, dass Arafat zynisch mehr Tote in Kauf nimmt, damit diese Bilder die Wahrnehmung verändern: Die Palästinenser sind nicht mehr die Schuldigen, die den Friedenskompromiss verweigert haben, sondern sie verdienen Mitleid und Unterstützung angesichts der israelischen Angriffe auf Zivilisten. Es kann aber auch sein, dass Arafat sich seinen Lebenstraum, ein unabhängiges Palästina, doch noch erfüllen will. Auch er weiß, dass dies nur über Verhandlungen und nicht durch Gewalt möglich ist. Doch er braucht eine politische Perspektive, um sein frustriertes Volk davon zu überzeugen, dass Schüsse auf Siedler und Selbstmordanschläge die Palästinenser ihrem Ziel nicht näher bringen. Diese politischen Perspektiven liegen auf dem Tisch: die ägyptisch-jordanischen Vorschläge und der Bericht der unabhängigen Mitchell-Kommission.

Die Palästinenser haben beiden zugestimmt, auch wenn der Mitchell-Bericht ihnen vorwirft, die Gewalt nicht zu unterbinden und die Hauptforderung der Palästinenser nach einer internationalen Schutztruppe nicht aufgenommen hat. Israel hat fundamentale Einwände. Scharon will die Verhandlungen nicht dort wieder aufnehmen, wo sie abgebrochen waren. Und er lehnt die Forderung des Mitchell-Berichts ab, die weitere Besiedlung besetzten Landes definitiv einzustellen. Damit versperrt Scharon jede politische Perspektive.

So blockieren sich beide gegenseitig. Die Palästinenser argumentieren, es sei unrealistisch, in der aufgeheizten Situation auf einen palästinensischen Gewaltverzicht zu hoffen, wenn Israel ihnen nicht politische Perspektiven anbiete. Für Scharon ist die Reihenfolge umgekehrt: Politische Verhandlungen gibt es erst, wenn die Gewalt auf israelische Bürger gestoppt ist.

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