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Auf einem Tisch in einem Kindergarten steht ein Holzspielzeug auf einem Tisch, im Hintergrund ist ein Kleinkind zu sehen.

© dpa

Nationaler Bildungsbericht: Mehr Grips durch mehr Geld

Eine Lehre aus dem Nationalen Bildungsbericht lautet: Bildungsbeflissenheit allein reicht nicht, damit Deutschland zur Aufstiegsgesellschaft wird.

Bildungsbeflissen wie nie sind die Deutschen. Immer mehr unter Dreijährige gehen in die Kita, immer mehr Jugendliche machen das Abitur und studieren. Die „Bildungsrepublik“, die Kanzlerin Angela Merkel im Jahr 2008 ausrief, scheint Gestalt anzunehmen. Aber tut sie es wirklich? Merkel kam damals bei ihrem Festvortrag zum 60. Geburtstag der sozialen Marktwirtschaft sogleich auf Ludwig Erhard zu sprechen. Der habe „Einstieg und Aufstieg“ in Aussicht gestellt, sagte Merkel und machte sich das Versprechen zu eigen. Eingelöst werde es heutzutage durch Bildung.

Von der Zuversicht, dass eigene Anstrengung den „Einstieg“, vielleicht sogar einen „Aufstieg“ möglich macht, ist ein erheblicher Teil der Jugendlichen in Deutschland aber heute ausgeschlossen, auch davon kündet der aktuelle Nationale Bildungsbericht. Fast der Hälfte der ausländischen Jugendlichen gelingt es nach dem Schulabschluss nicht, ins duale Berufsbildungssystem zu wechseln. Ein Drittel der 30- bis 35-Jährigen mit Migrationshintergrund hat keinen beruflichen Abschluss.

Viele Frauen mit türkischen Wurzeln haben keine Berufsausbildung

Betroffen sind dramatisch viele Jugendliche mit türkischem Hintergrund, weil sie oft aus sozial schwachen Familien stammen: Von den jungen Frauen haben 60 Prozent keinen beruflichen Abschluss, von den jungen Männern die Hälfte. Ein Drittel aller Kinder wächst in einer „Risikolage“ auf, also mit arbeitslosen, armutsgefährdeten oder bildungsarmen Eltern. Diese Kinder sind seltener im Sportverein oder im Musikkurs. Die Bildungsexpansion findet ohne einen beträchtlichen Teil der jungen Bevölkerung statt, zum Nachteil nicht allein der zurückbleibenden Jugendlichen selbst.

Die Wirtschaft nimmt Schaden. Angesichts des Studierendenbooms ringt sie um Azubis, weil sie ihre vielen unbesetzten Lehrstellen mit dieser Klientel nicht besetzen kann oder will. Schließlich bedrohen die vielen Resignierten den sozialen Frieden. Der Mittel- und der Oberschicht darf das nicht egal sein. Neue Anstrengungen, auch finanzielle, sind nötig. Im schnell wachsenden Kita-System fehlen Erzieherinnen und Erzieher, die Kindergruppen werden größer, die Qualität sinkt.

Niedrigschwellige Bildungsangebote im Kiez würden helfen

Umso weniger attraktiv wird es aber, diesen Beruf zu ergreifen, zumal seine vielfältigen Belastungen nicht mit einem angemessenen Gehalt kompensiert werden. Diese Negativspirale müsste die Politik durchbrechen. Ganztagsschulen müssten sich in schwierigen Kiezen zu Zentren entwickeln, in denen gerade bildungsferne Schüler niedrigschwellige Angebote von der Hausarbeitenhilfe über Sport und Musik vorfinden, und ihre Eltern Anlaufstellen, in denen sie sich über berufliche Chancen für ihre Kinder informieren können. Tatsächlich ist die Ganztagsschule, die nur ein Drittel aller Schüler nutzt, erst ein Schatten dessen, was sie sein könnte. Unterdessen werden Schulsozialarbeiter mit Zeitverträgen, 20-Wochenstunden-Jobs und niedriger Bezahlung abgespeist.

Eine weitere Baustelle identifizieren die Forscher bei der Inklusion. Traditionen, fachliche Spezialisierungen und fehlende Klarheit über die Ziele hemmen die systematische Modernisierung. Hausarbeiten tragen die Forscher auch der Wirtschaft und der Berufsbildungspolitik auf, die die Kompetenzen für die Berufsvorbereitung bündeln sollten. Und Unternehmen sollten die Azubis besser betreuen, damit es weniger Abbrecher gibt. Mehr Grips und mehr Geld sind nötig, um „Einstieg und Aufstieg“ möglich zu machen.

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