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Nato-Doppelstrategie: Afghanistan den Afghanen

Es ist Zeit für robusten westlichen Egoismus in Afghanistan. Nach neun Jahren Stabilisierungsmission der Nato droht sich dort ein hässliches Provisorium zu verewigen. Der Westen muss den Druck auf Kabul erhöhen – auch durch Gespräche mit den Taliban.

Der Aufbau von Demokratie, Rechtsstaat und verlässlicher Verwaltung in Afghanistan macht schon lange keine Fortschritte mehr. Die Eliten, die unter westlichem Schutz an die Macht gelangt sind, verfolgen ungeniert ihre Partikularinteressen. Wahlfälschung und Korruption gehören zum Alltag. Die Verantwortung für das Gemeinwohl haben sie bei den USA und der Nato abgegeben. Wenn deren Vertreter jedoch zu tun versuchen, was Aufgabe der Regierung Karsai wäre – Wahlfälschungen aufdecken, Bestechung verfolgen –, interveniert Karsai im Namen der afghanischen Souveränität. Und dafür sind tausende westliche Soldaten gestorben und unzählige Aufbaumilliarden gespendet worden?

In dieser verfahrenen Lage ist fast alles willkommen, was Bewegung bringt, ganz voran die Bekräftigung der USA und der Nato, dass der Abzug 2011 beginnt. Diesem Ziel dient auch der Kurswechsel, Versöhnungsgespräche mit Talibanführern, die die Waffen niederlegen wollen, zu unterstützen – bis hin zu der sensationellen Meldung, dass Nato-Offiziere feindlichen Kommandeuren freies Geleit nach Kabul gegeben haben.

Es gibt wenig Perspektiven, die Karsai und seinen korrupten Mitregenten mehr schlaflose Nächte bereiten als die Aussicht, dass der Westen tatsächlich abzieht. Dann wäre Schluss mit der automatischen Machtgarantie im Schutz westlicher Waffen. Und der angenehme Zufluss der Hilfsmilliarden, von denen ein guter Teil auf private Konten dieser Elite im arabischen Ausland fließt, würde sich dramatisch verringern.

Diese Mechanismen setzten völlig falsche Anreize. Die Regierung Karsai hat wenig Interesse an Fortschritt. Denn je besser die Lage, desto früher kann der Westen abziehen. Soldaten und Hilfsgelder hält er umso länger im Land, je weniger Fortschritt er zulässt.

Natürlich gibt es keine Garantien, dass die neue Doppelstrategie der Nato – Unterstützung der Versöhnungsgespräche mit den Taliban plus verstärkter militärischer Druck, um deren Kompromissbereitschaft zu erzwingen – Erfolg hat. Verteidigungsminister Robert Gates und Außenministerin Hillary Clinton formulierten ihre Erwartungen beim Nato-Treffen in der vergangenen Woche in Brüssel sehr zurückhaltend. Es stimmt ja: Die Taliban meinen, die Zeit sei auf ihrer Seite. Sie müssen nur abwarten, bis der Westen abzieht. Immerhin, im Irak ist es gelungen, den Widerstand so zu brechen und einen Großteil der sunnitischen Stämme für die parlamentarische Machtteilung zu gewinnen.

Afghanistan den Afghanen – und, vor allem: die volle Verantwortung für die Zukunft Afghanistans den Afghanen. Das ist nach neun Jahren westlicher Verantwortung für den Aufbau eine unumgängliche Wende. Die Nato kann im besten Fall die Voraussetzungen für friedliche Entwicklung schaffen. Aber entwickeln müssen sich diese Länder und ihre Gesellschaften dann schon selbst.

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