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Ist in Libyen das Gute womöglich der Feind des Klugen?

© Reuters

Nato und Libyen: Rückkehr der Vernunft

Wie weiter in Libyen? Das ist die entscheidende Frage. Man kann aus guter Absicht einen dummen Krieg beginnen. Irgendwann aber muss jenes Maß an Augenmaß in die Debatte zurückkehren, das am Anfang fehlte.

Manchmal ist das Gute der Feind des Klugen. Anfang der neunziger Jahre stolperte die Völkergemeinschaft mit einer humanitären Intervention in das bürgerkriegs- und hungergeplagte Somalia. Die Operation "Restore Hope" endete im Fiasko. Aus der Schmach wurde ein Trauma, aus dem Trauma Tatenlosigkeit. Als wenig später in Ruanda ein Völkermord verübt wurde, regte sich niemand mehr.

In die "Odyssee Morgendämmerung" hat sich die Welt ähnlich blauäugig hineinziehen lassen. Die Hauptrollen spielten der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy und die amerikanische Radikal-Idealistin Samantha Power. Unterstützt wurden sie von der Arabischen Liga, einem Zusammenschluss autokratischer Regime. An der Formulierung der UN-Resolution 1973 schließlich, die die Grundlage der Nato-Intervention in Libyen bildet, war maßgeblich der Libanon beteiligt, wo die Hisbollah eine Parlamentsmehrheit stellt. Dieser seltsamen Koalition gelang es, den Westen erneut in einen gesinnungsethischen Krieg zu treiben, dessen Ausgang offen ist.

Zweifellos wollte die Allianz das Gute tun und die Menschen in Bengasi schützen. Doch weder wusste sie, welche Kräfte hinter den von ihr unterstützten Rebellen stecken, noch bedachte sie, dass in dem neu eskalierenden Bürgerkrieg wohl weitaus mehr Menschen getötet werden, als es im Fall einer Niederschlagung des Aufstands durch die Gaddafi-Truppen geschehen wäre. Kaum etwas stachelt Kriegsleidenschaft stärker an als die Hoffnung, die andere Seite besiegen zu können. Abermals könnte das Gute der Feind des Klugen gewesen sein.

In diesem durchaus schicksalsträchtigen Moment treffen sich ab diesem Donnerstag die Außenminister der Nato in Berlin. Nach Afghanistan, wo ein glimpflicher Ausgang ihres Engagements ebenfalls noch fragwürdig ist, haben sie in Libyen zum zweiten Mal die Verantwortung für ein muslimisches Land übernommen. Die USA indes, einst Führungsmacht im Bündnis, konzentrieren sich zunehmend auf die Lösung ihrer eigenen gigantischen Probleme. Weder Frankreich noch Großbritannien, geschweige denn Deutschland können das Vakuum füllen. Stattdessen zetern Paris und London über die angebliche Zögerlichkeit der Allianz, während Berlin in der Vogelperspektive verharrt. Führungslos, ratlos und zerstritten: Das mächtigste Militärbündnis der Welt gibt ein jämmerliches Bild ab.

Die jetzt entscheidende Frage heißt: Wie weiter in Libyen? Die Alternativen sind klar. Erstens: Die Nato erklärt, sich geirrt zu haben und beendet die Operation. Dann wäre alles vergebens gewesen, die Blamage perfekt, Gaddafi würde sich erholen und bei der Rückeroberung des Landes ein Gemetzel anrichten. Zweitens: weiter wie bisher, Schutz der Zivilisten lediglich aus der Luft, was den Bürgerkrieg auf unabsehbar lange Zeit verlängert, Gaddafi im Amt lässt, die humanitäre Katastrophe tagtäglich vergrößert. Drittens: eine drastische Erweiterung des Einsatzspektrums, bis hin zu Bodentruppen, um entweder das Land zu teilen und einen Waffenstillstand zu erzwingen, oder um den Despoten zu stürzen.

Man kann aus guter Absicht einen dummen Krieg beginnen. Dann aber muss jenes Maß an Augenmaß in die Debatte zurückkehren, das am Anfang fehlte. Halbherzige Kriege darf die Nato nicht führen. Fürs ganze Herz aber braucht sie viel Verstand. Jedem Mitgliedsland muss klar sein, dass in Berlin auch über die Zukunft der einzigen wirklich handlungsfähigen Militärallianz verhandelt wird.

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