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Meinung: Neid und Bewunderung

Lust auf Kulturkampf: Wie es zum Hass auf den Westen kommt

Von Jochen Müller Es war kurz nach dem 11. September 2001 als US-Präsident Bush jene berühmt gewordene Frage stellte, zu deren Beantwortung Washington in der Folgezeit noch ganze Delegationen durch die arabische Welt schicken sollte: „Warum hassen sie uns?“

Mit dem Streit um die Karikaturen vom Propheten des Islam und den Ausfällen des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad scheint diese Frage nun endgültig auch in Europa angekommen zu sein. Denn eins ist in den vergangenen Tagen sehr deutlich geworden: Im Nahen und Mittleren Osten ist ein pauschales Feindbild vom „Westen“ weit verbreitet. Und zwar nicht nur unter den Islamisten von Hamas, Hisbollah oder aus Teheran. Nicht sie allein haben schließlich die Massen agitiert – auch die Medien und selbst die arabischen Regierungen haben die Proteste geschürt und angefeuert.

Nun ist es nicht in allen arabischen Staaten gleich zu Großdemonstrationen gekommen – trotzdem stellt sich die Frage: Warum lassen sich so viele Menschen offenbar so leicht auf die Barrikaden bringen? Worauf beruht der angestaute Zorn, der sich jetzt im Streit um ein paar Bilder entladen hat?

Es ist die Wut auf einen Westen, den viele in der Region als uralten Gegenspieler der Araber und Muslime betrachten. Vor allem arabische Nationalisten – linke und rechte ebenso wie islamistische – stricken dabei an einer Indizienkette: Die kann von den Kreuzzügen, über die Staatsgründung Israels bis zum baden-württembergischen Einwanderungsleitfaden reichen. Das Atomwaffenverbot für Iran gilt ihnen als Fortsetzung imperialistischer Kolonialpolitik und der Bilderstreit erscheint aus dieser Perspektive nur als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sehr zur Freude arabischer und iranischer Kulturkämpfer, die nun bejubeln, dass 1,4 Milliarden Muslime endlich einmal mit einer Stimme sprechen und sich als starke Gemeinschaft Einfluss verschaffen würden.

Zwar ist kaum zu leugnen, dass sich in den USA und Westeuropa nach dem 11.9. so etwas wie ein Generalverdacht gegen Muslime breit gemacht hat. Zudem verleiht die in der westlichen Welt weitgehend verdrängte und vergessene Kolonialzeit dem Selbstbild vieler Araber und Muslime als Spielball der Weltgeschichte historische Legitimität. Genau dieses in der arabischen Öffentlichkeit geradezu gepflegte Selbstbild als ohnmächtige Opfer ist es aber, das nicht nur den Wunsch nach weltpolitischer Stärke für Araber und Muslime erzeugt, sondern auch in aggressive Ideologien von übermächtigen äußeren Feinden mündet, die eben dies verhindern wollen – meist mit den USA und Israel an ihrer Spitze. Sich gegen diese „Feinde“ zu erheben, macht den massenhaften Volkszorn und letztlich auch Attacken auf europäische Botschaften zu einer vermeintlich gerechten Sache. Ein „verletzter kollektiver Narzissmus“ der Araber und Muslime, so sagt es der tunesische Intellektuelle Afif al Akhdar, führe in der Region zu einer „Kultur der Rache“.

Nun sollte man hier zu Lande nicht auch gleich von einer „Kultur der Rache“ sprechen. So wenig wie „der Westen“ existiert, gibt es schließlich „die“ Araber und Muslime. Vielmehr bewundert ein Großteil der Bevölkerung im Nahen und Mittleren Osten „den Westen“ sogar, und wer es sich leisten kann, der isst bei McDonalds und schickt seine Kinder auf die amerikanischen Universitäten in Kairo und Beirut oder besser gleich nach Harvard. So waren in den vergangenen Tagen auch sicher nicht zigtausend kleine bin Ladens auf den Straßen.

Dennoch: Weil „der Westen“ in den arabischen Gesellschaften so oft zur Ablenkung von hausgemachten Krisen dient, wird er zum Objekt von Bewunderung, Neid und Hass zugleich. Und es ist dieses ideologische Gemisch, aus dem Dschihadisten ihre Kämpfer rekrutieren – nicht gleich zigtausende, aber immer wieder einzelne.

Der Autor ist Leiter des Berliner Büros vom Middle East Media Research Institute (www.memri. de).

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