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Nettoeinkommen: Das Geld kommt nicht aus der Steckdose

Wenn die Regierung höhere Nettoeinkommen will, muss sie die Aufgaben reduzieren. Der Staat halst sich aber immer mehr auf: Elterngeld, Pflegeurlaub, Mütterkuren, Kinderkrippenzuschüsse.

Netto ist das, was am Ende übrig bleibt. Immerhin das haben die Sozialdemokraten inzwischen gelernt. Was sie noch nicht gelernt zu haben scheinen, ist, wer über die Differenz von Brutto- zu Nettoeinkommen bestimmt. Das sind nämlich der deutsche Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung. Mit jeder Entscheidung über Staatsaufgaben und -ausgaben, direkten Steuern und Sozialabgaben verändern sie das Verhältnis von Brutto und Netto.

Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Unschuldsmiene der heutige SPD-Vorsitzende Kurt Beck die neue Nettolohndebatte kommentiert, mit welch arglosem Augenaufschlag Vizekanzler Franz Müntefering auf die vermeintliche Schocknachricht aus dem eigenen Haus reagiert, die Nettolöhne seien seit 1986 nicht gestiegen. Beide fordern Abhilfe, der eine will flächendeckende kräftige Lohnerhöhungen, der andere außerdem flächendeckende kräftige Mindestlöhne. Als ob das Problem darin läge, dass die Lohnentwicklung der vergangenen Jahre moderat war – das war der Reflex darauf, dass auch das Wirtschaftswachstum mehr als dürftig ausfiel.

Dagegen hätten Franz Müntefering, Kurt Beck und alle, die jetzt klagen, Gelegenheit, dem Bürger mehr Netto zuzugestehen. Die Arbeitslosenversicherung könnte ihre Beiträge problemlos senken, eine ordentliche Gesundheitsreform hätte dasselbe bei der Krankenversicherung bewirkt. Würde die Koalition bei der Pflege das Nötige tun, würde sie auch hier Sorge tragen, dass mehr Netto übrig bleibt. Ganz zu schweigen davon, dass der Staat sich von Aufgaben trennen könnte, um die Einkommen zu entlasten.

Das tut er aber nicht, im Gegenteil: Er halst sich immer mehr auf. Elterngeld, Pflegeurlaub, Mütterkuren, Kinderkrippenzuschüsse zum Beispiel sind sicher sinnvolle Dinge. Sie bleiben aber nur dann dauerhaft ohne Einfluss auf die Nettoeinkommen, wenn der Staat woanders sein Engagement zurückfährt. Dazu aber fehlt die Kraft. Deshalb ist es mehr als albern, wenn ausgerechnet die jetzt Feuer schreien, die seit Jahren mit dem Flammenwerfer unterwegs sind.

Franz Müntefering selbst bietet das beste Beispiel. Mit der problematisch strukturierten Dauersubventionierung des Niedriglohnsektors sorgt der Arbeitsminister im eigenen Ressort mit dafür, dass es sich für viele überhaupt nicht mehr lohnt, eine Teilzeitstelle gegen einen Vollzeitjob einzutauschen. Auch das drückt das Durchschnittsnetto. Die Minijobs abschaffen? Das wagt niemand, auch der Arbeitsminister nicht.

Es ist eine Tatsache, dass die Arbeitnehmereinkommen in den vergangenen 20 Jahren die besten Finanzierungsquellen für den Staat waren. Angefangen von der deutschen Einheit über allerlei Zusatzaufgaben für die Sozialversicherungen haben die Beschäftigen im Wesentlichen die Rechnung für politisches Handeln bezahlt. Wer es ernst meinte mit dem Schlachtruf „Mehr Netto!“, täte ein wirklich gutes Werk. Doch in dieser Hinsicht ist absolut nichts zu befürchten.

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