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Meinung: Neue deutsche Bescheidenheit

Was Rot-Grün aus dem Irak-Krieg über Mittel und Macht lernt

In zwei sehr unterschiedlichen Staatenbünden sieht sich Deutschland als treibende Kraft. In den UN, dem größten Staatenbund. Und in der EU, dem engsten. Nach dem Irak-Krieg ist die Frage aktueller denn je, was Deutschland in Europa und der Welt will, was es durchsetzen kann – und wie. Jetzt, nachdem Realität geworden ist, was lange nur als neue Formel durch die Strategiedebatten waberte: Nato à la carte, Missionen definieren Koalitionen, Willige handeln, Unwillige sehen zu – und zahlen höchstens.

Das gute halbe Jahr vor dem Irak-Krieg war kein gutes für den Multilateralismus, das ist allen klar. Nun hat die Aufräumphase begonnen. Die EU ist in der Lage, sich auf eine gemeinsame Irak-Erklärung zu einigen; allerorts wird von einer pragmatisch definierten Rolle der Vereinten Nationen beim Neuanfang in Bagdad gesprochen: Das sind gute Zeichen. Es gibt indes auch Forderungen am Rande der Verblendung. Der gemeinsame Sitz der Europäer im Sicherheitsrat ist theoretisch wünschenswert. Praktisch ist er durch den Vorkriegsstreit in so weite Ferne gerückt wie der alternativ geforderte ständige Sitz für Deutschland.

Wo also steht Deutschland nach dem Krieg gegen Saddam? Gefestigte Mittelmacht – oder wieder nur der politische Zwerg mit ökonomischen Muskeln, die derzeit allerdings gewaltig schwächeln? Ist Deutschland doch nur eine Art Schweden mit böserer Vergangenheit, mehr Bürgern und gleichviel Einfluss?

Gerhard Schröder hat das „aufgeklärte Eigeninteresse“ zur Richtschnur seiner Außenpolitik erkoren. Amerikaner und Briten würden sagen: Er hatte. In Kosovo und in Afghanistan hat er das auch umgesetzt. Und im Irak alles verspielt, was er auf dem Weg zur Versöhnung der deutschen Linken mit den realpolitischen Gegebenheiten der Welt gewonnen hatte. Man kann es auch anders sehen, kann den transatlantischen Streit als punktuelle, wenn auch schwerwiegende Meinungsverschiedenheit werten. Egal, welche Deutung stimmt: Die Lektion bleibt dieselbe.

Deutschland ist angewiesen auf mehr Europa. Muss dabei aber Rücksicht nehmen auf berechtigte Sensibilitäten: Niemand darf durch ostentativ vorgetragene Führungsansprüche an den Rand gedrängt werden, zum Beispiel bei der vertieften Sicherheitskooperation. Nur so kann der wichtigste Transmissionsriemen, der Berlin zur Verfügung steht, gestärkt werden – wenn Deutschland weltweiten Gefahren begegnen will. Dass dies nötig ist, dass die Abschottung in der Festung Europa keine Option ist, sollte klar sein. Und ebenso, was zu vermeiden ist: die Betonung einer Identität, die sich aus Trotz gegen die USA speist. Hier müssen Rot und Grün Geister einfangen, die sie bewusst aus der Flasche gelassen hatten.

Deutschland muss sich auch der Erkenntnis stellen, dass immer, wenn es hart auf hart geht, Europas Nationen auf ihrem Einfluss beharren. Da liegt die Grenze der Integration. In einer viel weniger fest gefügten Welt als jener vor 1989 sind die alten und neuen Bündnisse wenig mehr als Werkzeuge, die genutzt werden – oder eben nicht. Nach Irak müssen wir uns in einer Welt zurecht finden, in der nicht mal die EU ein Selbstzweck ist. Bündnisse sind Instrumente. Nicht mehr, nicht weniger.

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