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Meinung: Neue Lust am Risiko

Von Hartmut Wewetzer

Schon seit einiger Zeit warnen AidsExperten vor einer Rückkehr des Leichtsinns beim Sexualverhalten. Jetzt belegen Zahlen des Robert-Koch-Instituts, dass die Befürchtungen berechtigt waren. Im ersten Halbjahr 2005 wurden 1164 neue Infektionen mit dem Immunschwächevirus HIV gemeldet, 20 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Am stärksten betroffen ist die Gruppe der schwulen Männer. Auch bei den Heterosexuellen ist eine Zunahme zu verzeichnen, allerdings schwächer ausgeprägt.

Die neue Lust am Risiko zeigt sich zum Beispiel im Nervenkitzel schwuler „Bareback“-Partys, bei denen es ohne Gummi zur Sache geht. Oder darin, dass ganz gewöhnliche Ehemänner bei Prostituierten darauf drängen, dass das Kondom weggelassen wird. Fachleute wie der Berliner Aids-Spezialist Keikawus Arasteh weisen darauf hin, dass eine Aids-Welle aus Osteuropa uns in zwei bis fünf Jahren überrollen könnte. Denn in Ländern wie der Ukraine steigt die Zahl der HIV-Infizierten rasch an. Die Infektionsraten dort sind mit jenen in Südafrika zu Beginn der Epidemie vergleichbar. Und es häufen sich Belege dafür, dass das Virus gegen die Medikamente widerstandsfähiger wird. Der Glaube, mit ein paar Pillen pro Tag das Problem Aids im Griff zu haben, ist also trügerisch. Die großen Fortschritte, die die Behandlung der Immunschwäche machte, könnten sich so geradezu als Bumerang erweisen: weil sie eine Sicherheit vorgaukeln, die nicht besteht. Noch immer ist Aids unbesiegt.

Verglichen mit anderen Ländern hat Deutschland die Aids-Krise der 80er Jahre gut überstanden. Die Infektionsraten gehörten zu den niedrigsten der Welt. Die Bevölkerung wurde aufgeklärt, man appellierte an die eigene Verantwortung und verzichtete auf Zwang. Dieser Weg war und ist richtig. Aber das Wiederaufflackern der Krankheit zeigt, dass die Wachsamkeit erneut größer werden und die Bevölkerung besser informiert werden muss. Inzwischen ist eine Generation herangewachsen, die nicht mit den Bildern ausgemergelter Aidskranker groß geworden ist. „Schweigen ist Tod“ lautete der Leitspruch der Aids-Selbsthilfegruppen. Das stimmt heute mehr denn je.

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