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Meinung: Neuwahlen: Alle für eine

Neuwahlen waren unvermeidlich. Nach der Bankenpleite wollten die Berliner Wähler die Möglichkeit haben, die Macht neu zu verteilen.

Neuwahlen waren unvermeidlich. Nach der Bankenpleite wollten die Berliner Wähler die Möglichkeit haben, die Macht neu zu verteilen. Auch die Parteien müssen mitspielen. Es schafft Verdruss, wenn im neuen Senat Leute sind, die den Schlamassel mit angerichtet haben. Das gilt für die SPD und die CDU.

Und Berlin kann jetzt keinen Rote-Socken-Wahlkampf gebrauchen. Die ohnehin noch vorhandenen Gräben würden vertieft werden. Ost- und West-Berlin müssen zusammenwachsen. Daher sollte die PDS im neuen Senat vertreten sein. Sie vertritt vierzig Prozent der Ost-Berliner Wähler. Wenn Gregor Gysi mitmacht, dann ist das um so besser.

Zum Thema Online Spezial: Machtwechsel in Berlin Die Kulturpolitik Berlins muss in den Dienst des Zueinanderfindens gestellt werden. Berlin ist eine wiedervereinigte Stadt. Sie hat eine besondere Geschichte. Die Mauer in den Köpfen und in den Herzen kann überwunden werden. Berlin wird die Stadt der Begegnung zwischen Ost und West.

Eine Herkules-Aufgabe ist es, die Stadt zu sanieren. 1990 war ich Kanzlerkandidat der SPD. Ich fuhr durch Berlin und sah CDU-Plakate, auf denen stand: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Den Wählern, und vor allem den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, wurde die sofortige Anpassung der Löhne und Gehälter an das Niveau des Westens in Aussicht gestellt. Und das, obwohl jeder wusste, dass Berlin, pro Kopf gerechnet, nach der Vereinigung mehr Personal bezahlen musste, als jede andere Stadt in Deutschland. Gleichzeitig wurden die hohen Bundeszuschüsse für Berlin Jahr für Jahr zurückgefahren, ohne dass der Senat daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen hätte. Wundert sich da noch jemand, dass sich seit 1990 die Schulden der Stadt fast verfünffacht haben?

Dem neuen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit ist zuzustimmen. Ehe Berlin nach neuen Hilfen des Bundes ruft, muss es seine Hausaufgaben machen. Das heißt, sparen und sanieren. Die neue Finanzsenatorin Christiane Krajewski kann das. Sie hat Erfahrung mit einem überschuldeten Haushalt und mit Sanierungsfällen. In der mittlerweile bewältigten Krise der saarländischen Stahlindustrie waren die Herausforderungen für das Saarland ähnlich groß wie bei der Bankenpleite in Berlin. Die immer noch nicht behobenen Schwierigkeiten beim Saarbergbau kamen dazu. Die neue Finanzsenatorin weiß, dass das Saarland seine Ansprüche auf Finanzhilfen des Bundes zunächst beim Bundesverfassungsgericht durchsetzen musste. Sie kennt aus langjähriger Praxis die Verhandlungen des Bund-Länder-Finanzausgleichs.

Beim Sparen muss es gerecht zugehen. Das ist in einer Gesellschaft, die oft die Kleinen hängt und die Großen laufen lässt, nicht einfach. Klaus Landowsky lässt grüßen. Beim Personal könnte man die einen entlassen und den anderen keine Opfer zumuten. Das wäre der falsche Weg. Gerecht ist es, von allen Bürgern entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit einen Beitrag zu verlangen. Teilzeitarbeit und Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich sind dabei besser als betriebsbedingte Kündigungen. Was bei VW ging, muss im Öffentlichen Dienst von Berlin auch gehen. Auch die neue Dienstleistungsgewerkschaft Verdi steht in der Verantwortung. Sie könnte eigene Vorschläge machen. Beim Angebot öffentlicher Einrichtungen, einschließlich der Theater und Museen, muss sich Berlin an vergleichbaren Städten orientieren.

Um diese schwierige Aufgabe zu bewältigen, braucht Berlin einen All-Parteien-Senat. Den gab es schon zweimal zur Zeit des legendären Ernst Reuter. Die Überlegung des Willy-Brandt-Hauses, es mit einer Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP zu versuchen, ist nicht zu Ende gedacht. Ein Senat, der der Bevölkerung Opfer abverlangt, darf nicht eine enttäuschte CDU und eine sozialpopulistisch agierende PDS zum Gegner haben. Wer sparen will, ist gut beraten, die PDS mit ins Boot zu nehmen. Auch das Argument, die PDS vergraule Investoren, wird bei einem All-Parteien-Senat obsolet.

Man kann nicht übersehen, dass es der großen Koalition in den letzten zehn Jahren nicht gelungen ist, das Defizit Berlins an industriellen und an Dienstleistungsplätzen abzubauen. Auch für die PDS wäre es ein wichtiger Lernprozess, Sparvorschläge zu machen und Ideen zu entwickeln, die Berlin für Investoren attraktiv machen. Warum kapiert das die CDU nicht? Und warum sagen das die CDU-Politiker nicht laut, die das längst wissen? Wolfgang Schäuble hätte ich das zugetraut.

Sind die Hausaufgaben gemacht, dann kann Berlin den Bund um weitere Hilfe angehen. Auch dabei hätte ein All-Parteien-Senat die größten Chancen. Die Finanzhilfen, die der Bund Bremen und dem Saarland zur Verfügung gestellt hat, bedurften der Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates. Wir hatten in dieser Sache die Unterstützung aller im Bundestag vertretenen Parteien.

Der neue Senat hat drei zentrale große Aufgaben: Er muss das Zusammenwachsen Berlins fördern, den Haushalt sanieren und die Unterstützung des Bundes erreichen. Das geht nur, wenn alle Parteien aufeinander zugehen. Sie dürfen sich diese Möglichkeit im Wahlkampf nicht verbauen. Gelingt das nicht, dann strickt Frank Steffel, dem die eigene Partei den Kosenamen Klein-Landowsky gegeben hat, wieder rote Socken. Klaus Wowereit, der gut gestartet ist, darf die neue Mitte Gassi führen. Und Gregor Gysi wäre wie bisher in allen Talkshows ein gern gesehener Gast. Nur Berlin hätte dabei das Nachsehen.

Oskar Lafontaine

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