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Meinung: Nicht abseits – und nicht im Weg stehen Wie alle Katastrophen ist auch die Flut ein Spektakel für Gaffer

Von Gerhard Mauz RECHTSWEGE Eine Frau sagt in der ARD: „Wenn man schon nicht helfen kann, dann wenigstens schauen.“ Das ist ein törichtes Wort.

Von Gerhard Mauz

RECHTSWEGE

Eine Frau sagt in der ARD: „Wenn man schon nicht helfen kann, dann wenigstens schauen.“ Das ist ein törichtes Wort. Sie steht vor einer von der Flut bedrohten Brücke. Die jungen Leute, die im Wasser bemüht sind, unter Lebensgefahr des Treibguts wegen, der Baumstämme beispielsweise, denn diese können das Bauwerk zum Einsturz bringen, sind empört. Die Frau hat natürlich einen Fotoapparat in der Hand.

„Katastrophentourismus“ nennen die jungen Leute das. Und so muss über Lautsprecher angesagt werden, dass es nicht rechtens ist, sich der Brücke zu nähern, und dass es auch nicht zulässig ist, zu fotografieren. Ein Krankenhaus muss geräumt werden und ein Altersheim. Beklemmende Szenen spielen sich ab. Es muss ausreichen dafür, sich ein eigenes Bild zu machen, dass die professionellen Berichterstattungen im Fernsehen, im Hörfunk und in den Zeitungen, die Situation vor Augen führen.

Überall nerven die Gaffer. In Dessau etwa haben Schaulustige einen Zufahrtsweg im Stadtteil Waldersee zugeparkt. Die schweren Lastwagen des Technischen Hilfswerks mit Sandsäcken müssen über ein Feld ausweichen und bleiben dort prompt stecken.

In Dresden muss Regierungschef Milbradt Vorsorge treffen, um den Einmarsch der Neugierigen in die Stadt zu verhindern, die jetzt eher wie ein Elb-Venedig aussieht. Wo Häuser geräumt werden müssen, gilt es Vorsorge gegen Plünderer zu treffen . In Dresden sind seit Dienstag 17 Personen wegen Diebstahls festgenommen worden.

„Hochwasserbedingte Straftaten“ sind das und die Staatsanwaltschaft hat Bereitschaftsdienst rund um die Uhr angeordnet.

Wenn man schon nicht helfen kann, dann sollte man nicht schauen, sondern die Wege und Zufahrten frei halten. Ach, was das Leid anderer doch so hergibt. Die jungen Leute sind empört, aber sie halten aus: „Wir bleiben hier und retten, was zu retten ist.“ Sie lassen sich durch den Katastrophen-Tourismus nicht irritieren – aber Empörung ist für ihre Wut über den Aufmarsch der Fotoapparate ein zu schwaches Wort. Sie sind wirklich wütend, sind außer sich vor Zorn.

Es ist dieser Tage – zu Recht – viel vom Zusammenrücken der Menschen die Rede, davon, dass die Katastrophe die Menschen einander näher gebracht hat. Dass bewusst geworden ist, wie sehr alle Schicksale miteinander verbunden sind.

Doch in Grimma, dessen historisches Zentrum von der Flut besonders schwer getroffen wurde, müssen Polizeiposten kontrollieren, ob Besucher , die in die Altstadt fahren wollen, dort tatsächlich wohnen. Es ist so sehenswert, dass es dort wie nach dem Krieg aussieht. Es muss auch davon die Rede sein, dass die Neugier eine Orgie feiert; eine Orgie, die ein Hohn auf das Zusammenrücken ist.

„Niemand sollte jetzt abseits stehen“, hat Helmut Schmidt in Erinnerung an die Hamburger Sturmflutkatastrophe 1962, die nicht zuletzt durch ihn so bewundernswert bewältigt wurde, gesagt. Für diese Katastrophe muss das ergänzt werden: Niemand sollte im Wege stehen.

Gerhard Mauz ist Autor des „Spiegel“. Foto: Dirk Reinartz

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