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Auf Höhenflug: Die Grünen

© dpa

Nicht beliebig, nicht bequem: Grüne auf dem Weg zur Volkspartei

Es ist eine Zäsur, ein historisches Ereignis: Erstmals in ihrer 30-jährigen Geschichte stehen die Grünen bei einer bundesweiten Umfrage gleichauf mit der SPD, bei 24 Prozent, nur wenig hinter der Union. In Berlin und Stuttgart sind sie sogar schon weiter: vor den Sozialdemokraten.

Diese hatten die Grünen einst als politischen Betriebsunfall betrachtet, Fleisch von ihrem Fleische, ein dienendes Anhängsel, am besten zum Ausdruck gebracht in der Rollenbeschreibung Gerhard Schröders, es sei ja wohl klar, wer hier Koch sei und wer Kellner. Welch ein multipler Irrtum.

Während den Grünen das alles selbst noch nicht ganz geheuer ist, so als traumwandelten sie auf dem Dach des Kanzleramts, halten Konkurrenten und Neider vorfreudig Häme und abschätzige Erklärungen bereit: gnadenlos überbewertet, heißt es, je höher die Erwartung, desto tiefer der Absturz. Grün sei heute die Farbe der Beliebigkeit, eine bequeme Partei für alle, die es sich bequem machen wollen. So irren sie weiter.

Im Schatten des Phantoms einer rechtspopulistischen Partei wachsen die Grünen zu etwas heran, was sie ohne Zukunft wähnten und das zu zerfallen schien, überholt und schwerfällig: Volkspartei. Wenn aber fast jeder Vierte erklärt, er wähle die Grünen, und jeder Zweite, er könne sich das vorstellen, lässt sich das kaum abtun mit klischierten Bemerkungen über linksliberale Wohlstandsstädter mit ökosozialem Restgewissen. Eher ist es ein Hinweis darauf, dass die missgünstigen Erklärungen für den Stimmungserfolg der Grünen – beliebig, bequem – nicht tragen oder falsch sind.

Die Sozialdemokraten halten die Grünen für eine Klientelpartei, aber sie übersehen dabei, dass die Milieus sich weiter diversifizieren und neue Schnittmengen bilden. Den Grünen gelingt es offenbar, eine zu besetzen – nicht mit einem Programm, nicht mit einer Person, sondern mit ihrer Geschichte. Womöglich kommen sie der Sehnsucht nach Vernunft, Moral und Haltung in der Politik, nach Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit und Weitsicht in einer komplexer werdenden Welt näher als andere. Die zwischen Neoliberalismus und Neosozialismus oszillierende SPD bietet da ebenso wenig Orientierung wie die Union, die auf ihrem Marsch zu einer transzendentalen Mitte in einem schwarzen Loch zu versinken droht, und der nassforsche Hochmut der Liberalen verstört ebenso wie der hölzerne Sozialismus der Linken.

An Widersprüchen offenkundig zu leiden, anstatt über sie hinwegzureden, bedeutet immerhin, sie zu erkennen. Deshalb schadet den Grünen die Integrationsdebatte nicht, schmerzt sie aber, weil sie zwar früh von der Bundesrepublik als Einwanderungsland sprachen, sich aber die Konsequenzen zu lange in multikultureller Rührseligkeit schönträumen wollten. Doch kaum eine andere Partei hat sich so offen dabei zusehen lassen, wie sie sich mit den eigenen Entscheidungen quält, nachvollziehbar, vor dem Hintergrund der eigenen Gründungsgeschichte und der politischen Erfordernisse – im Fall der Grünen besonders intensiv, als es um die Kriegseinsätze der Bundeswehr ging, bei den Sozialreformen und beim rot-grünen Atomkompromiss. Nicht alles war richtig, manches falsch, aber nichts davon war bequem, nichts beliebig. Auch die SPD hat an der Agenda 2010 gelitten. Aber sie setzte sich davon schon bald beschämt wieder ab. Erst war die SPD für den neuen Bahnhof in Stuttgart – jetzt möchte sie lieber dagegen sein. Die Sozialdemokraten, unstet seit langem auch in der eigenen Führung, wollen sich beim neuen Atomprotest an die Spitze stellen. Aber dort waren die Grünen schon immer, glaubwürdig.

Vieles mag Projektion sein – die Grünen als bürgerliche Protestpartei, als Hoffnung auf politische Nachhaltigkeit – manches auch Überforderung. Ob die Berliner, die Baden-Württemberger, die Deutschen wirklich von den Grünen regiert werden wollen, muss sich erst noch zeigen. Als Koch oder Kellner? Wichtiger ist ohnehin, wer das Restaurant leitet. Das ist in Deutschland bis auf weiteres Angela Merkel, allen Umfragen und Gourmetmäkeleien zum Trotz.

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