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Meinung: Nicht ganz freiwillig

Die Armee im Übergang: Struck setzt Vorschläge der Weizsäcker-Kommission um

Von Robert Birnbaum

Der Peter Struck ist schon ein Fuchs. Ein Jahr lang hat er sich als Verteidigungsminister der pragmatischen Vernunft darin bewährt, die Bundeswehr-Reform seines Vorgängers auf ein bezahlbares Maß zurechtzustutzen. Ohne allzu große Wellen damit zu schlagen, hat er die kaltkriegerische Theorie der Bundeswehr mit dem „Hindukusch- Theorem“ an die Praxis des Auslandseinsatzes angepasst. Und jetzt auf einmal macht er Revolution. Das von der Fachwelt hoch gelobte, aber von Auftraggeber Scharping in die Schublade gelegte Reformkonzept der Weizsäcker-Kommission vom Mai 2000 wird neue Leitlinie für eine Bundeswehr-Agenda 2010.

Es ist ein Sprung zurück, der einen großen Sprung nach vorn bedeutet. Die Einsicht folgt der schieren Not. Struck hat eingesehen, dass die Bundeswehr ab etwa 2008 vom eigenen Umbau stranguliert zu werden droht. Dann beginnen all die Neu- und Ersatzbeschaffungen – die aus der Panzerstahlarmee des Kalten Krieges eine moderne Verteidigungsarmee machen sollten – den Wehretat aufzuzehren. Scharping hatte an die wunderbare Geldvermehrung geglaubt. Struck hat lange auf eine Senkung der Betriebskosten gesetzt. Aber allein damit ist die Milliarden-Welle nur um den Preis zu brechen, dass der Betrieb Bundeswehr Stück für Stück den Betrieb einstellt. So muss Struck tun, was bisher alle scheuten: den Personalumfang noch einmal deutlich vermindern, Zivilmitarbeiter entlassen, Standorte schließen, die Beschaffungslisten stutzen, sofern das angesichts oft langfristig gebundener, oft internationaler Verträge überhaupt möglich ist.

Das ist kein einfacher Weg. Nur ein Beispiel: Wer das Dogma kippt, dass die Bundeswehr mit ihrer Standortwahl immer auch Strukturpolitik für einsame Gegenden zu betreiben habe, wird Prügel kriegen. Aber das Beispiel zeigt auch, weshalb der Weg richtig ist. Der Umstieg von „Scharping“ auf „Weizsäcker“ bedeutet nämlich weit mehr als nur eine technisch-finanzielle Anpassung an Realitäten. Er bedeutet den Abschied von Denkmustern. Er bedeutet in letzter Konsequenz, der Frage „Wie wird die Bundeswehr ihrer neuen Aufgabe am besten gerecht?“ Vorrang vor allen anderen traditions–, industrie- und sonstigen politischen Erwägungen zu geben.

Na gut, nicht allen. Das Dogma Wehrpflicht lässt Struck bestehen. Er greift auch dazu auf Weizsäcker zurück: Eine „Auswahlwehrpflicht“ soll es demnächst werden. In der Praxis heißt das, dass die Bundeswehr sich unter allen Wehrpflichtigen die auswählt, die sie brauchen kann. Ob das mit der Wehrgerechtigkeit und der Verfassung noch im Einklang steht, darüber ist Streit programmiert; zumal Struck nicht daran denkt, den zweiten Teil der Auswahl-Idee auch zu übernehmen, nämlich den Auserwählten den Wehrsold zu erhöhen zum Ausgleich dafür, dass sie Dienst am Vaterland leisten, ihr Klassenkamerad aber neun Monate früher seine Privatkarriere aufbauen kann.

Aber der juristische Disput, auch das ist absehbar, dürfte politisch wenig Wirkung entfalten. Die Anhänger der Wehrpflicht werden mangels Alternative stillhalten, ihre schärfsten Gegner aber auch. Erstens, weil Peter Struck ein Fuchs ist. Im Windschatten der großen Reformdebatten hat er seine Reformation platziert, wohl wissend, dass bis Jahresende alle stillhalten. Aber es fehlt den Wehrpflicht-Gegnern auch der Grund zum Aufstand. Schon die Weizsäcker-Kommission hat ihr Konzept als „Übergangsmodell“ eingestuft. Für den Übergang zur Berufs- und Freiwilligenarmee ist später nur ein Etikettenwechsel nötig, kein Umbau der Strukturen. Der Weg zum Profi-Heer ist deutlich vorgezeichnet.

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