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Meinung: Nicht mal Doktorspiele mit Zigarren

Pascale Hugues, Le Point

In Berlin geht es dieser Tage zu wie in Ouagadougou. Nein, ich verwechsle den Tiergarten nicht mit den Weiten des Sahels. Nein, die ersten Beelitzer Spargelspitzen erinnern mich auch nicht im Geringsten an PlantaBananen aus Burkina Faso. Der Grund ist ein anderer: In den 80er Jahren machte es sich in Afrika der flotte marxistische Führer Thomas Sankara zur Gewohnheit, Prozesse gegen Kleinkriminelle live im Radio zu übertragen. Er wollte Exempel statuieren, um die Korruption zu bekämpfen. Von morgens bis abends erfüllte revolutionäre Pädagogik den Äther.

Der gleiche monotone Hintergrundlärm bestimmte letzten Montag meinen Berliner Tagesablauf. Mit dem Unterschied, dass es sich nicht um die Bestrafung von Fahrraddieben, Schaufensterräubern oder nächtlichen Ruhestörern handelte – sondern darum, vor Gott und der Fernsehnation den Außenminister des größten Landes der EU zu verurteilen. Der Knackpunkt der Anklage: Der Minister hat seine Dossiers und Dienstnotizen nicht penibel genug studiert.

Bedauerlicherweise fehlte dem nüchternen parlamentarischen Auschuss jenes köstliche Barock der afrikanischen Schauprozesse, nach denen das Publikum stets in schallendes Lachen ausbricht. Phoenix-TV zwang am Montag 400000 Fernsehzuschauern einen nationalen Inquisitionstag auf. Ein Holztisch, eine Wasserkaraffe und ein Glas. Ein Minister ohne Siegelring, dafür aber mit sorgfältig ausgesuchter biederer Krawatte. Ihm gegenüber ein Bataillon vor der Zeit gealterter Juristen. Jemand, der in diesem Land fremd ist, kann nur mit Mühe nachvollziehen, welches Verbrechens sich der Minister schuldig gemacht hat. Joseph Martin Fischer hat weder illegal Waffen verkauft noch FAZ-Journalisten abhören lassen. Er hat auch nicht seine acht Kinder nebst Ehefrau auf Kosten des Steuerzahlers in einer luxuriösen 600-Quadratmeter-Wohnung mit bescheidenen Mietkosten von 14 000 Euro einquartiert. Er hat nicht einmal sein rechtwinkliges Büro zum Schauplatz von Doktorspielen mit Zigarren und Praktikantinnen gemacht. Und schwarze Kassen zur heimlichen Parteienfinanzierung hat er auch nicht angelegt. Keine Korruption, kein Sex, kein Verbrechen, keine Polygamie.

„Schuld“, „Schwäche“, „Lüge“, „Reue“, „Bußgang“, „Beichte“, „Mea culpa“, „Strafe“, „Sünde“ … Es genügt, sich das am Montag verwendete Vokabular zu vergegenwärtigen, um zu wissen, dass man in Deutschlands Epizentrum vorgestoßen ist, des ernsten, puritanischen Deutschland. Diesem armen Mann, der an die „christliche Milde“ der Geschworenen appellierte, wurde vorgeworfen, dass er sich für seine Mittagspause eine Stunde Zeit genommen hat. Eine ganze Stunde! Ich wage es kaum, mir die libidinösen Fantasien der Geschworenen vorzustellen: Da trinkt also einer lieber Brunello, als dass er Akten frisst! Fischer vor einer orgiastischen Tafel! Fischer, wie er sich von persischen Tänzerinnen mit entblößtem Bauchnabel verwöhnen lässt! Ich habe die Zeit gestoppt: sich die Beine vertreten, Pipi machen, einen Teller Nudeln runterschlingen und eine Cola trinken – schon ist eine Stunde rum.

Was also wirft man Fischer wirklich vor? Dass dieser Autodidakt, der keinen Jura-Abschluss in Tübingen gemacht hat, der nicht in einer auf Verwaltungsrecht spezialisierten Kanzlei in einer Kleinstadtfußgängerzone gearbeitet hat, der nicht Stufe um Stufe die Parteileiter erklommen hat, dass so ein Mensch so lange der erklärte Liebling der Deutschen war? Dass dieser talentierte Tribun seine Pirouetten auf dem Parkett der internationalen Diplomatie dem mühseligen Studium seiner Pappmappen vorzog? Dass er sich Journalisten gegenüber arrogant und Diplomaten gegenüber schlecht erzogen benahm? Der flotte Marxistenkapitän Thomas Sankara hatte es sich in seinem „Land der integren Menschen“ zur Mission gemacht, „dem Volk ins Gewissen zu reden“. Kann es sein, dass der Reserve-Korvettenkapitän Eckart von Klaeden diese robusten Methoden bloß adaptiert hat, um sein Vaterland Mores zu lehren?

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