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Meinung: Nicht mehr genug Teflon

Blair wollte auf dem Labour-Parteitag durchstarten – aber der Irak lässt ihn nicht los

Tony Blair ist, wie er gerne sagt, nur dem lieben Gott und den britischen Wählern verantwortlich. Natürlich wäre es gut, wenn er am Dienstag bei seiner Rede vor dem Labourparteitag in Brighton ein bisschen Beifall bekäme. Aber zur Wahl stellen muss er sich dem Parteivolk nicht. Was die Wähler angeht, dürfen sie Blair vermutlich im Mai 2005 zur Rechenschaft bitten. Sie wenigstens werden ihm eine Chance geben, glaubt man den Meinungsumfragen.

Aber ohne Begeisterung. Nicht weil sie dem Premier vertrauen, sondern weil sie den Konservativen noch weniger vertrauen. Eine Alternative ist nicht in Sicht.

Vielleicht erklärt auch dieses demokratische Paradox, warum Blair so müde und bedrückt wirkte, als er am Samstag in Brighton ankam. In den Händen hatte er den roten Koffer der Staatsgewalt. Ins Gesicht war ihm die Last und Bedrückung des Geiseldramas um Kenneth Bigley geschrieben. Wieder einmal steht die Irakkrise wie ein drohendes Ungewitter über Blair. Und über der Labourpartei.

Ob Blair sich beim Schreiben seiner Parteitagsrede wünschte, im Mai doch zurückgetreten zu sein? Damals hatte er eine Krise, berichteten seine Freunde, bevor er von einer neuen Welle von Energie und Regierungsbegeisterung gepackt wurde, das Kabinett umbildete, neue Vertraute ins Zentrum der Macht und seinen alten Rivalen, den Schatzkanzler Gordon Brown, ein bisschen ins Abseits rückte. In Brighton sollte der neue Elan als Feuerwerk neuer Reforminitiativen auf das Parteivolk herunterprasseln, das Fundament für die dritte Amtszeit Labours unter Tony Blair legen und jeden Unmut zum Schweigen bringen. Themenwechsel. Genug vom Irak.

Blair muss in Brighton die Bande zur Parteibasis wieder knüpfen, den Briten den Neuanlauf schmackhaft machen. Man wird viel von Verbesserungen für „Großbritanniens hart arbeitende Familien“ hören, mehr Kindertagesstättenplätze, mehr Urlaub, mehr individuelle Mitsprache der Kunden von öffentlichen Dienstleistungen – von Schulen bis zum Gesundheitsdienst. Auch international will Blair Flagge zeigen. Im gleichen Saal, in dem er 2001 im Bewusstsein der epochalen Bedeutung des Anschlags vom 11. September seinen internationalen Interventionismus propagierte, will er nun eine neue Offensive starten, diesmal friedlich. Afrika, der Klimawandel, Schuldenerlass für die Dritte Welt sind die Themen für die G8 Präsidentschaft im nächsten Jahr.

So die Pläne. Doch es wäre ein Wunder, wenn sie aufgehen. Mag „Teflon Tony“ den Irak immer wieder abschütteln. Wie Nemesis, die Rachegöttin, holt er Blair wieder ein. Meist, wenn es darauf ankommt. Nun hat die Tragödie der Geiselnahme die ganze Wut der Labourpartei noch einmal auf den Punkt gebracht. Es wird Forderungen nach einer Entschuldigung geben, Anträge auf einen sofortigen Truppenabzug der Briten, einige Labour-Parlamentarier wollen Blair sogar vor ein seit Jahrzehnten vergessenes Parlamentsgericht bringen. Alle, die an Blair etwas auszusetzen haben – bis hinunter zu den Fuchsjägern, die ihr Kommen in Brighton ebenfalls angesagt haben – werden in ihrem Protest gegen den Premier beflügelt.

Eigentlich würde man in Brighton eine große ideologische Auseinandersetzung erwarten: Brown gegen Blair, die Labourlinke gegen die Reformer der Mitte. Labour müsste darüber streiten, wie starkes Wirtschaftswachstum in soziale Gerechtigkeit umzusetzen ist.

Nun aber scheint wahr zu werden, was ein Pamphlet der Labourzeitung „Renewal“ schon im August befürchtete: Labour dürfte die nächste Wahl schlafwandlerisch gewinnen, ohne so recht zu wissen, warum und wofür. So droht nicht nur Blair, sondern die ganze Labourpartei eine lahme Ente zu werden.

Matthias Thibaut

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