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Meinung: Nicht nur Blitzkrieg und Papa Razzi

Dass die Briten die Deutschen hassen, ist ein Stereotyp Von Peter Torry

Hassen die Briten die Deutschen wirklich? Bei der Lektüre gewisser deutscher Zeitungen könnte dieser Eindruck leicht entstehen. Ein deutscher Korrespondent in London behauptet sogar, die Briten würden die Deutschen lieben – aber nur als Punchingball.

Man sollte nicht alles glauben, was in britischen oder deutschen Zeitung geschrieben steht. Aber selbst wenn man eine gewisse journalistische Freiheit einräumt, verliert diese Debatte allmählich den Kontakt zur Realität. Antideutsche Vorbehalte in Großbritannien werden zunehmend selbst zu einem Stereotyp.

Die Briten wissen sicher zu wenig über die Deutschen von heute. Wir müssen uns besser über das moderne Deutschland informieren. Aber dass Briten sich so gut wie gar nicht für Deutschland interessieren, ist eine maßlose Übertreibung. Schauen Sie sich die Passagiere eines Easyjet-Fluges von Großbritannien nach Berlin an. Sie können hunderte junger Briten mit dem „Rough Guide“-Reiseführer in der Hand zählen. Warum? Weil sie Berlin „cool“ finden. Die Briten stellen die meisten ausländischen Touristen in Berlin. Und Großbritannien ist weiterhin das europäische Reiseziel Nummer eins für junge Deutsche, die im Ausland arbeiten oder studieren wollen. Eine winzige Minderheit hat unangenehme Erfahrungen gemacht. Natürlich ist es inakzeptabel, dass jemand aufgrund seiner Nationalität diskriminiert oder beschimpft wird. Jeder Fall ist einer zu viel. Aber alljährlich besuchen immerhin 2,7 Millionen Deutsche und 13 000 deutsche Schulkinder Großbritannien. Die überwältigende Mehrheit verbringt eine schöne Zeit. Und kommt immer wieder.

Auch die Behauptung über mangelndes Interesse in Großbritannien an Nachkriegsdeutschland ist stark übertrieben. Sehen Sie sich die Kulturszene in Großbritannien an. Joseph Beuys in der „Tate Modern“. Michael Frayns Theaterstück über Willy Brandt – ein Superhit im West End. Der Film „Good Bye Lenin“ – ein Sommerhit des vergangenen Jahres. Eine schottische Rockband namens „Franz Ferdinand“, die auf Deutsch singt.

Die Besessenheit der Briten vom Krieg ist ein weiteres Klischee. Verbringt der Durchschnittsbrite tatsächlich jeden Abend vor dem Fernseher, um sich Wiederholungen alter Kriegsfilme anzuschauen? Ein Blick auf die miserablen Zuschauerquoten zeigt,welche Beliebtheit sie genießen. Das deutsche Fernsehen und die deutsche Filmindustrie produzieren eine ganze Reihe sehenswerter Filme über den Zweiten Weltkrieg. „Speer und Er“, „Der Untergang“, „Stauffenberg“, „Hitlers Manager“. Bedeutet das nun, dass die Deutschen an nichts anderes als den Krieg denken können?

Und bitte glauben Sie nicht alles, was Sie in Deutschland über die britische Presse lesen. Wir dürfen niemalsverwechseln, was die Leute lesen und was sie wirklich denken. Denkt jeder Deutsche das, was in der „Bild“ steht? Man muss die britische Presse richtig kennen und verstehen. Sie hat eine lange – und sehr britische – Tradition, respektlos zu sein. Und zwar gegenüber jedem – ohne Rücksicht auf Nationalität oder gesellschaftliche Stellung. Sie dürfen nicht nur die Überschriften lesen. Die Deutschen waren nach der Papstwahl über Schlagzeilen wie „Papa Razzi“verärgert. Aber wie viele haben den Leitartikel derselben Zeitung gelesen, in der der Papst als ein Mann gewürdigt wurde, der „weiß, dass moralische Werte nicht verhandelbar sind“? Oder den Artikel, in dem seine Wahl als ein großes Ereignis für Deutschland begrüßt und sein Verhalten in der Vergangenheit als mutig und ehrenhaft bezeichnet wurde? Natürlich gibt es in Großbritanniens Bild vom modernen Deutschland einiges nachzuholen. Wir müssen die Beziehungen zwischen unseren Jugendlichen verbessern. Die Lehrpläne für unseren Geschichtsunterricht sollten verändert werden. Wir kümmern uns darum.

Das eigentliche Problem ist nicht der Krieg, sondern Gleichgültigkeit. Der Zweite Weltkrieg wird und darf nicht vergessen werden – weder in Großbritannien, noch in Deutschland, Russland oder anderswo. Ja gut, ein paar Briten werden Deutschland immer nur vor dem Hintergrund dieses Krieges sehen. Aber sie sind eine kleine Minderheit. Die meisten Briten wissen einfach nicht genug über das moderne Deutschland. Es ist ein phantastisches Land. Aber es muss sich besser verkaufen.

Man verkauft ein Produkt nicht, indem man die Kunden vergrault. Je mehr Deutschlands Imageproblem in Großbritannien thematisiert wird, umso mehr werden die Briten annehmen, dass hier tatsächlich etwas nicht stimmt. Je sensibler die Deutschen reagieren, umso mehr fordern Sie die (typisch) britische Neigung heraus, sich über den anderen lustig zu machen. Warum nehmen Sie sich nicht ein wenig ein Beispiel an der Unbekümmertheit der Franzosen. Die nehmen die Ausfälle der Fleet Street nicht allzu ernst

Noch eine abschließende Bitte: Blicken Sie über die abgestandene Mediendebatte hinaus. Briten und Deutsche arbeiten so eng zusammen wie nie zuvor: Simon Rattle dirigiert die Berliner Philharmoniker. Bernhard Langer siegt mit Colin Montgomery im Ryder Cup. Stella McCartney entwirft für Adidas. BMW produziert den neuen Mini. 350 000 Briten arbeiten für deutsche Unternehmen. Die britische Wirtschaft steuert 30 Milliarden Euro zur deutschen Handelsbilanz bei. Denken Sie an die unzähligen Freundschaften, an die Millionen Touristen, an Seal und Heidi Klum, Dietmar Hamann beim FC Liverpool und Owen Hargreaves bei Bayern München.

Diese Fakten mögen zwar nicht immer Schlagzeilen machen, aber sie geben ein faireres Bild des modernen Großbritanniens und des modernen Deutschlands.

Der Autor ist der Botschafter Großbritanniens in Deutschland.

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