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Meinung: Nie wieder Knecht

Von Clemens Wergin

Es sei generell eine Sünde, zur Wahl zu gehen, hat die „Islamische Armee im Irak“ vor einigen Tagen verkündet. Sie und die anderen Terrorgruppen haben dann auch einiges getan, um die „Sünder“ und „Ungläubigen“ in die Hölle zu schicken: Manche Iraker wurden auf ihrem Weg zur Wahl oder in den Schlangen vor den Wahllokalen von Selbstmordattentätern in die Luft gesprengt. Angesichts dieser Bedrohungen ist es schon erstaunlich, wie viele Iraker es sich nicht nehmen ließen, an den ersten wirklich freien Wahlen in ihrem Land teilzunehmen. Für welche Parteien sie gestimmt haben, wird man erst in ein paar Tagen sehen. Aber mit ihrer massiven Beteiligung hat eine Mehrheit der Iraker deutlich gemacht, von wem sie nicht regiert werden will: von den Faschisten islamistischer oder baathistischer Couleur, deren Terror inzwischen vor allem gegen die eigene Bevölkerung gerichtet ist.

Was die Wahl den Irakern bedeutete, ließ sich am ehesten dort sehen, wo sie keine Angst vor Anschlägen haben mussten: Im kurdischen Norden und im schiitischen Süden wurde vor und in den Wahllokalen ausgelassen gefeiert. Und im Ausland wählten die Exiliraker in einer Mischung aus banger Hoffnung, Jubel, demokratischer Ernsthaftigkeit und Gerührtheit angesichts des historischen Momentes. Es ist bedauerlich, dass sich gerade den Europäern so wenig von der Erhabenheit dieses Tages mitteilt, an dem sich ein von einem Diktator geknechtetes Volk daranmacht, über seine Zukunft selbst zu entscheiden. Als wenn wir nicht wahrhaben wollten, dass ein falscher Krieg auch einige positive Folgen haben kann – selbst inmitten des Nachkriegsdesasters, das der Irak noch immer darstellt.

Es passiert selten, dass historische Momente alle Versprechen einlösen, alle Hoffnungen, die damit verbunden waren. Und es gibt unzählige Gründe, warum das irakische Experiment scheitern könnte. Die fehlende demokratische Kultur, ethnische Zersplitterung, Stammesstrukturen und mangelnde Rechtstaatlichkeit – es mangelt nicht an Hindernissen beim Aufbau einer demokratischen Gesellschaft. Aber ein Volk, das seinen Willen zur Demokratie so eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, verdient unsere Unterstützung. Es ist schließlich nicht die Schuld der Iraker, dass sie mit einem falsch begründeten Krieg befreit wurden.

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