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Zum ersten Mal in seiner Amtszeit hat der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan die bedrängte Hauptstadt des nordöstlichen Bundesstaates Borno, Maiduguri, besucht. Er hofft, auch dort auf Stimmen für die Wahl am 14. Februar.

© Olatunji Omirin/AFP

Nigeria wählt: In Nigeria droht nach der Wahl noch mehr Gewalt

Nie war eine Wahl in Nigeria knapper. Wenn der unruhige Nordosten an der Wahl faktisch nicht teilnehmen kann, könnte das zu einer Eskalation der Gewalt im ganzen Land führen. Die größte Ökonomie Afrikas steht vor einer neuen Zerreißprobe. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Dagmar Dehmer

Die islamistische Terrororganisation Boko Haram beherrscht inzwischen eine Fläche, die größer ist als drei afrikanische Kleinstaaten zusammen. Im nordöstlichen Bundesstaat Borno beherrscht die 2002 als islamistische Sekte gegründete Oranisation inzwischen fast 70 Prozent des Territoriums. Nur die Hauptstadt Maiduguri, dort wurde Boko Haram begründet, ist der Truppe noch nicht in die Hände gefallen. In Maiduguri, vor zehn Jahren noch ein intellektuelles Zentrum Nigerias mit einer lebendigen Universität, ist inzwischen zum Auffanglager für eine halbe Million Flüchtlinge geworden. Und Boko Haram lässt nicht locker. Nachdem die Fischerstadt Baga am Tschadsee Anfang Januar gefallen ist, hat die Miliz wenige Tage später die Hauptstadt des Nachbarstaats Yobe, Daimaturu, angegriffen. Wer nach Maiduguri will und nicht wie der Präsident Goodluck Jonathan den seit zwei Jahre geschlossenen Flughafen der Stadt nutzen kann, kann nur noch über Daimaturu nach Maiduguri reisen. Mit der Straße von Baga hat Boko Haram eine der letzten Zugangsstraßen zu der Metropole geschlossen. Die nigerianische Armee hat es zwar geschafft, Damaturu noch einmal zu halten. Doch es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Islamisten einen ganzen Bundesstaat Nigerias unter ihrer Kontrolle haben werden.

In gewisser Weise ist es schon ein Fortschritt, dass Präsident Goodluck Jonathan nach Jahren der akuten Krise, und nachdem er die drei nordöstlichen Bundesstaaten fast zwei Jahre lang unter Kriegsrecht gestellt hatte, endlich Maiduguri mit einem Kurzbesuch bedacht hat. Er hat vor Flüchtlingen aus Baga gesprochen. Vor ein paar Tagen war ihm Baga noch keine Erwähnung Wert gewesen, obwohl sich schnell abzeichnete, dass sich dort ein Massaker abgespielt haben musste. Mit den Satellitenbildern, die Amnesty International und Human Rights Watch in den vergangenen Tagen veröffentlicht haben, ist dieses Wissen zur Gewissheit geworden. Die Welt wird vermutlich nie erfahren, wie viele Menschen in Baga nieder gemetzelt worden sind. 2000 wie Amnesty International aufgrund von Zeugenaussagen von Flüchtlingen vermutet, oder 150 wie die nigerianische Armee behauptet hatte. Sicher ist, was ein Baga-Flüchtling Human Rights Watch sagte: "Es ist niemand dort geblieben, um die Toten zu zählen." In Sachen "Charlie Hebdo" hatte Jonathan übrigens sein Bedauern geäußert. Aber zumindest scheint er nicht davon auszugehen, dass das Massaker von Baga gar nicht stattgefunden hat.

Die Entführung der Chibok-Mädchen hält der Präsident bis heute für ein Märchen

An die Entführung von mehr als 200 - seit nunmehr neun Monaten verschwundenen - Schülerinnen aus einer Schule in Chibok im Bundesstaat Borno glauben Jonathan und sein Umfeld dagegen bis heute nicht. Seine Frau, Patience Jonathan, wollte die Organisatorinnen der Proteste, die unter dem Twitter-Suchbegriff #BringBackOurGirls bis heute jede Woche demonstrieren, sogar festnehmen lassen. Sie warf ihnen vor, nur ein schlechtes Licht auf ihren Mann werfen zu wollen. Jonathans Anhänger fanden es sogar richtig mit dem Slogan #BringBackGoodluckJonathan für den Präsidenten zu mobilisieren.

Mohammadu Buhari (links), der Spitzenkandidat der Opposition in Nigeria, und Goodluck Jonathan, der Präsident, der um seine Wiederwahl kämpft, haben einen Pakt gegen Gewalt nach der Wahl geschlossen.
Mohammadu Buhari (links), der Spitzenkandidat der Opposition in Nigeria, und Goodluck Jonathan, der Präsident, der um seine Wiederwahl kämpft, haben einen Pakt gegen Gewalt nach der Wahl geschlossen.

© AFP

Der Wahlkampf, der am 14. Februar entschieden werden soll, war im April 2014 schon in vollem Gang, als die Mädchen entführt wurden. Und der Wahlkampf ist wohl auch einer der Gründe dafür, warum die Krise im Nordosten Nigerias derzeit ziemlich unlösbar erscheint. Noch nie seit der Rückkehr Nigerias zur Demokratie 1999 war eine Wahl so knapp wie diese. Ehemalige Gouverneure und viele Spitzenpolitiker der ewigen Regierungspartei PDP (People's Democratic Party) sind zur oppositionellen APC (All Progressives Congress) übergelaufen, die mit dem ehemaligen Militärdiktator Mohammadu Buhari in die Wahl zieht. Eine der Hochburgen der Opposition ist der Nordosten Nigerias. Dort soll nun zwar auch gewählt werden. Aber mehr als eine Million Menschen sind intern Vertriebene, weitere mehrere Tausend Menschen sind in die Nachbarländer, Tschad, Kamerun, Niger geflohen. Sie alle fallen als potenzielle Wähler aus. Sie sind nicht in Wählerverzeichnissen enthalten, sie haben keine Wahlkarte. Und ohne diese Karte können sie ihre Stimmen nicht abgeben. Sollte die Regierungspartei PDP im Nordosten die Wahl gewinnen, wäre das ein guter Grund für die Opposition die Wahl anzufechten. Dabei ist es tatsächlich schwer, unter Kriegsbedingungen Wahlen abzuhalten. Die Wahlkommission findet keine Wahlhelfer, die bereit sind, sich in dieses unsichere Gebiet zu begeben und dort für einen Staat den Kopf hinzuhalten, der sie offensichtlich nicht schützen kann. Selbst am Willen das zu tun zweifeln viele in Nigeria schon lange. Und vier Wochen sind eine kurze Zeit, um plausible Wählerverzeichnisse anzulegen und die Wähler mit Wahlkarten auszustatten. Bei einem so knappen Wahlausgang, wie er zu erwarten ist, ist das ein Rezept für Gewalt im ganzen Land.

Nigeria bräuchte dringend einen Konsens darüber, wie gegen Boko Haram vorgegangen werden soll. Die militärische Option ist mehrfach gescheitert. Nachdem das Militär 2009 Boko Haram zerschlagen und den Gründer und Anführer Mohammed Yusuf erschossen hatte, glaubte die Regierung, das Problem sei aus der Welt. Seit 2010 hat sich die Truppe nicht nur neu formiert, sie hat eine bislang beispiellose Serie von Attentaten in Gang gesetzt. Allein im vergangenen Jahr sind mehr als 4000 Menschen dem Terror von Boko Haram zum Opfer gefallen. Bis vor sechs Wochen lag die Zahl der Todesopfer durch die nigerianische Armee im Kampf gegen Boko Haram allerdings kaum darunter. Bevor die Wahl über die Bühne gegangen ist, ist ein solcher Konsens unwahrscheinlich, obwohl Jonathan und Buhari in dieser Woche einen Pakt geschlossen haben, nach der Wahl auf Gewalt zu verzichten, um den erwünschten Wahlausgang sicher zu stellen. Doch wie viel Kontrolle haben die beiden Kandidaten über ihre unzufriedenen Anhänger? Nigeria steht ein schwieriges Jahr bevor.

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