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Meinung: Nitro und Glyzerin

In den letzten Jahren hätten wir eine linke Alternative gebraucht – jetzt ist sie überflüssig

Etwas war politisch falsch in Deutschland, grundfalsch. In den letzten Jahren saßen nur Parteien im Bundestag, die alle für eine harte Reformpolitik waren. Eine grundlegende Opposition fand nicht statt, auch nicht in der Öffentlichkeit. So was kann auf die Dauer nicht gut gehen, und es ging auch nicht gut. Die Linkspartei entstand. Sie schickt sich nun an, das Vakuum zu füllen. Viele sind bereit, ihr politischen Kredit einzuräumen, weil es eine echte Alternative geben müsse: Die Linkspartei mag unschön sein, aber sie werde gebraucht.

Das scheint plausibel, ist aber falsch. Richtig ist: Die Linkspartei im Bundestag wäre gebraucht worden. Seit die SPD beschlossen hat, in die Opposition und nach links zu gehen, kann sie die Alternative zu einer demnächst noch schwarz-gelb verschärften Reformpolitik selbst formulieren. Noch nicht mit voller Glaubwürdigkeit, weil man vor kurzem selbst Sozialabbau betrieben hat und weil die Schröder/Clement-SPD für einige Wochen weiter mitläuft. Doch schon im Herbst wird die Agenda-SPD als echte linke Alternative wieder auferstehen.

Die Linkspartei tritt also genau in dem Moment auf den Plan, da sie nicht mehr gebraucht wird. Der Unterschied zwischen der Herbst-SPD und der Linkspartei besteht allerdings darin, dass die einen einigermaßen seriös bleiben müssen, die anderen hingegen politisch rumsauen können, wie es grad passt. Die Gysi-Lafontaine-Truppe wird dem Parteien-Spektrum also keine linke Alternative hinzufügen, die uns noch gefehlt hätte, sondern nur eine populistische Entgrenzung, die uns gerade noch gefehlt hat.

Da verwundert die bisherige öffentliche Reaktion. Denn was Oskar Lafontaine da veranstaltet und worin er von seinen neuen Genossen ermutigt wird, unterscheidet sich in nichts von dem, was Jürgen W. Möllemann vor drei Jahren getan hat. Unter der scheinheiligen Parole des Man-wird-doch-noch- sagen-dürfen-dass bedient Lafontaine systematisch rechte, autoritäre und antisemitische Ressentiments. Vor drei Jahren jedoch schlugen nach einer – zu langen – Weile alle Parteien, auch die PDS, und die gesamte demokratische Öffentlichkeit auf die Möllemann-FDP ein. So lange, bis das populistische Experiment abgebrochen werden musste.

Eine Antwort von ähnlicher Geschlossenheit und Vehemenz bleibt diesmal aus. Das liegt zum einen an der – falschen – Annahme, dass eine Linkspartei gebraucht würde und dass für diese Errungenschaft ein bisschen Rechtstum hingenommen werden müsse. Zum anderen daran, dass Möllemann diesmal von links kommt. Viele meinen, bei Linken sei das Rechte irgendwie uneigentlich und daher ungefährlich. Was leider ganz falsch ist. Früher fühlte sich die progressive Linke meist international. Heute denken auch Linke, alles Böse käme von außen – von den polnischen Schlachtern über den schweizerischen Banker, die US-Heuschrecken bis zu den chinesischen Billigarbeitern. Die linke Grundbotschaft an die gebeutelten Deutschen lautet: „Wenn ihr das Gefühl habt, es geht euch nicht so gut, wie ihr es verdient habt, dann liegt das nicht an euch, sondern an anderen. Darum müsst nicht ihr euch anstrengen, damit es euch besser geht, sondern wir sorgen dafür, dass die anderen euch nichts mehr tun können.“ Diese Botschaft hat etwas richtiges, weil viele Menschen trotz eigener Anstrengung nicht mehr weiterkommen. Solch eine Botschaft muss darum Teil einer linken Alternative sein. Sie enthält aber auch zahllose ganz rechte Verführungen.

Die Membran zwischen ganz links und ganz rechts ist heute so dünn wie seit Weimar nicht mehr. Lafontaine und seine Linkspartei sind dabei, diese Membran zu durchstechen. Man versteht die seriöse Linke nicht, dass sie so tut, als sei die neue Gruppierung ein Diskurspartner wie jeder andere. Nein, Gysi und Lafontaine sind weder Sacco und Vanzetti, noch Pat und Patachon, auch nicht Rosa und Karl. Sie sind Nitro und Glyzerin. Man darf gespannt sein, wie lange es dauert, bis die deutsche Linke das merkt.

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