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No-Angels-Sängerin: Ein Verdacht, der haftet

Eine Sängerin, eine HIV-Infektion, einige Medien und die Unschuldsvermutung: Fraglich ist nicht, ob berichtet wird, sondern wie. Das gilt auch für Staatsanwälte. Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Über die Verhaftung einer Sängerin der „No Angels“ haben alle Medien berichtet, ebenso über den allgemeinen Vorwurf (gefährliche Körperverletzung) wie auch über den konkreten (Verheimlichung einer HIV- Infektion und Übertragung des Virus mittels Geschlechtsverkehrs). Allerdings berichteten die Medien sehr unterschiedlich.

Die meisten nannten den vollen Namen der sehr bekannten Frau, auch der Tagesspiegel. Die Verhaftung selbst war schon sehr öffentlich, kurz vor einem Auftritt der Beschuldigten. Die „Bild“-Zeitung ging weiter, sie ließ frühere Sexualpartner der Sängerin erzählen, was sie erlebten. Die „FAS“ und die „Süddeutsche“ dagegen verschwiegen auf ihren vorderen Seiten den Namen der Sängerin oder kürzelten ihn („B.“), sie kritisierten andere Medien sowie die Staatsanwaltschaft und begründeten dies mit dem Persönlichkeitsrecht der Betroffenen und mit der Unschuldsvermutung; auf weiter hinten liegenden Seiten der beiden Zeitungen wurde indes der Name der Frau mit Nadja Benaissa angegeben. Die „Bild“-Zeitung kassierte eine einstweilige Verfügung gegen eine weitere Berichterstattung, an die jedoch weder sie sich noch die meisten anderen Medien halten.

Die „Bild“-Zeitung sieht wegen der Gerichtsentscheidung die Pressefreiheit in Gefahr; ein Autor der „FAS“ verabscheut den Umgang der Medien mit dem Fall B. und erkennt darin etwas grundsätzlich Neues; ein Enthüllungsreporter der „SZ“ beschreibt ausführlich die Kritik an der Öffentlichkeitsarbeit der Staatsanwaltschaft.

Hier gerät einigen einiges durcheinander. Neu ist der Fall B. nicht, intime Informationen über beschuldigte Prominente gelangten schon zuvor in die Öffentlichkeit. Dass gegen einen Fernsehmoderator im Zusammenhang mit Kokain ermittelt wurde, geriet wegen anwesender Prostituierter in den Hintergrund; der rechtlich unbeanstandete Vordergrund wurde dagegen grell moralisierend ausgeleuchtet.

Die Unschuldsvermutung ist ein Grundsatz im Rechtsstaat, und es ist richtig, sie zu verteidigen. Aber was soll man von dem Beitrag in der „FAS“ halten, wenn dort der Niedergang der Unschuldsvermutung am Beispiel der B. beklagt wird, aber im selben Kontext an den Fall eines Prominenten erinnert wird, der wegen Vergewaltigung angeklagt, später aber erster Klasse freigesprochen wurde – und dennoch von der „FAS“ jetzt, Jahre später, in das einsetzende Vergessen der Öffentlichkeit hinein mit vollem Namen genannt wird? Nicht die Unschuldsvermutung selbst ist der Kern des Problems, sondern die öffentliche Haftzeit eines Verdachts.

In der „SZ“ stellt ein Medienrechtler einen Zusammenhang her zwischen dem Fall B. und dem Fall eines Abgeordneten, dem der Besitz kinderpornografischer Bilder vorgeworfen wird. Er sieht in beiden Fällen eine Vorverurteilung. Aber Medien können nicht verschweigen, was Staatsanwälte einem Politiker vorwerfen, auch wenn es seine Intimsphäre berührt, und sie sollten es nicht bei einem Prominenten müssen, wenn es zum Verständnis des Vorgangs nötig ist. Fraglich ist nicht, ob berichtet wird, sondern wie. Das gilt auch für Staatsanwälte. Bigotterie ist kein Exklusivdelikt der „Bild“-Zeitung.

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