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Nobelpreisverleihung: Ein Teil der Welt knickt vor China ein

Zum ersten Mal kann weder der Friedensnobelpreisträger noch irgendein Familienmitglied für ihn den Preis entgegennehmen. Doch ein Teil der Welt knickt vor China ein – statt in Oslo ein Zeichen zu setzen.

Von Caroline Fetscher

Auf unserem Nachbargrundstück, ein Haus weiter, lebt ein Mann. Der Mann ist eingesperrt. Niemand darf ihn besuchen. Er darf keine Post bekommen und keine nach draußen schicken. Den Schlüssel hat der Hausmeister. Eingesperrt wurde der Mann, weil er ein Manifest für mehr Mitbestimmung der Bewohner des Hauses entworfen hat, und dem mächtigen Hausmeister das nicht passte.

Viele Nachbarn möchten den Mann gern befreien – aber keiner traut sich, den reichen, mächtigen Hausmeister nach dem Schlüssel zu fragen. Pardon, hier gab es einen Fehler. Nochmal: Auf dem Nachbarkontinent, ein paar Länder weiter, lebt ein Mann. Der Mann ist eingesperrt. Niemand darf ihn besuchen … – so stimmt es. Wäre bei uns so ein Mann tatsächlich im Haus nebenan eingeschlossen, dann gäbe es hier heftigen Unmut über das Unrecht. Nun heißt dieser Mann aber Liu Xiaobo, ist Chinese, hat Literatur studiert und an einer Universität in Peking unterrichtet. Wenige auf der Welt hatten den Mann wahrgenommen, bis ihm im Herbst der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde, um seinen friedlichen Einsatz für demokratische Reform im autokratischen China zu ehren.

Liu hatte die Charta 08 veröffentlicht, einen Aufruf zur Verankerung von Bürgerrechten in China, den Zehntausende unterzeichneten. Wegen „Subversion des Staates“ wurde er zu elf Jahren Umerziehung in Haft verurteilt. Jetzt will der erzürnte Hausmeister China nicht nur den Preisträger, sondern auch die Gäste von der Nobel-Zeremonie am 10. Dezember in Oslo fernhalten – wie schon 1989, als der Dalai Lama den Preis bekam. Die Teilnahme werde „Konsequenzen haben“, droht China. Europäische und asiatische Botschafter erhielten „Warnungen“. Doch in Oslo, sollte man meinen, habe dieser Hausmeister keinerlei Schlüsselgewalt. Falsch gedacht. Boykottieren wollen die Verleihzeremonie – neben China – unter anderem auch Russland, Kasachstan, Kuba, Iran, Ägypten, Tunesien, Saudi-Arabien, Marokko und sogar das in die EU drängende Serbien. Diese insgesamt 19 Staaten fürchten die Macht des Handelsgiganten. Und sie fürchten auch einen Liu im eigenen Haus.

Indes wird noch eine Person fehlen: Navi Pillay, aus Südafrika stammende Menschenrechtskommissarin der Vereinten Nationen, hat ihre Teilnahme an der Nobel-Verleihung vom Freitag abgesagt. Ein Freund des inhaftierten Preisträgers erklärte, er empfinde Pillays Verhalten als klaren Verstoß gegen deren Aufgaben. Sie sei vor Chinas Druck eingeknickt.

Zum ersten Mal seit es den Nobelpreis für Frieden gibt kann weder der Preisträger selber noch irgendein Familienmitglied, Freund oder Anwalt für ihn den Preis entgegennehmen. Tausende Kilometer entfernt wird Liu in seiner Zelle sitzen, während man ihn in Oslo feiert, wo symbolisch ein Sitz für ihn frei bleiben soll. Liaoning, wo sein Gefängnis liegt, ist eine boomende Region mit Schwermetallindustrie, dort produziert unter anderen BMW gemeinsam mit dem chinesichen Unternehmen Brilliance Autos. Vergangenen Sommer besuchte Ministerin Annette Schavan die Region im Rahmen der Initiative „Deutschland und China – Gemeinsam in Bewegung“. Ja, Bewegung klingt immer gut – aber was soll sich bewegen und in welche Richtung? Markus Löning, zuvor Werbefachmann, heute Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechte – einer, von dem man herzlich wenig hört – erklärte im Juli, man müsse vor allem die ökonomischen und sozialen Fortschritte Chinas anerkennen. „Wer verdurstet oder verhungert“, so Löning, dem nutze Meinungsfreiheit recht wenig.

Das ist ein Irrtum. Sogar Hungernde können, herrscht Redefreiheit, besser auf ihre Rechte aufmerksam machen. Löning und der Regierung sollte klar sein: Wirtschaftliche Kooperation lässt sich an Bedingungen binden, und je mehr Akteure dabei Mut zeigen, desto deutlicher lassen sich diese Bedingungen buchstabieren. Nichts anderes sollte geschehen. Der mutige Mann in China ist der Nachbar aller Demokraten. Er und seine Mitstreiter haben die Entschlossenheit aller Demokraten verdient.

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