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Meinung: Noch ein Spieler

Mal öffnet Russlands Präsident Putin das Tor zum Westen, mal schließt er es

Wladimir Putin hält Hof in St. Petersburg – und alle kommen. Über 40 Staats- und Regierungschefs haben sich zum Gipfel an diesem Wochenende angekündigt. Allein das könnte Russlands Präsident schon als Erfolg verbuchen. Als wichtigster Gast der Feiern zum 300. Geburtstag der Stadt gilt US-Präsident Bush. Sein Besuch zeigt: Russlands Ablehnung des Irak-Krieges hat den Beziehungen zu den USA keinen dauerhaften Schaden zugefügt. Von den drei Mitgliedern der Anti-Kriegs-Koalition hat Moskau derzeit das unkomplizierteste Verhältnis zu Washington. Dabei hatte Putin noch nach dem Krieg versucht, das Bündnis Paris-Berlin-Moskau neu zu beleben, als er Schröder und Chirac zu einem Dreiergipfel lud.

Russlands Präsident schien im Verhältnis zu den USA ein doppeltes Spiel zu spielen: Mal warnte er die Partner in der Koalition der Kriegsgegner vor Antiamerikanismus und sammelte damit Punkte in Washington. Dann schlug er beim Dreiergipfel in St. Petersburg plötzlich antiamerikanische Töne an – und konnte sich damit des Beifalls in Teilen der Bevölkerung sicher sein. Und wer hätte noch vor wenigen Monaten gedacht, dass sich Moskau so deutlich hinter Berlin und Paris stellen würde?

Putin ist außenpolitisch immer für eine Überraschung gut – unberechenbar ist er nicht. Der Kreml-Herr weiß, dass Moskau und Washington letztlich aufeinander angewiesen sind. Die USA sehen in Moskau seit dem 11. September einen starken Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus. Die strategische Partnerschaft mit Washington wiederum erleichtert es Russland, wieder eine selbstbewusste Rolle in der Weltpolitik einzunehmen – am Tisch der Nato oder anderswo. Allerdings sehen es die alten Eliten in Russland mit wachsendem Unbehagen, dass Washington seinen Weltmacht-Anspruch notfalls auch militärisch durchsetzt. In einer unilateralen, von den USA geprägten Weltordnung wäre kaum noch Platz für Russlands eigene machtpolitische Interessen, fürchten sie. Daher der heftige Widerstand gegen den Irak-Krieg, daher die ambivalente Haltung zu den USA. Putin streckte derweil bereits die Fühler in Richtung Zentralasien und China aus – und hielt sich damit machtpolitisch eine weitere Option offen.

Und welche Rolle spielt Europa? Besonders belastbar schien die Achse Paris-Berlin-Moskau nie. Europa kam für Moskau vor dem Irak-Krieg erst an zweiter Stelle, hinter den USA. Nach wie vor ist Moskau enttäuscht darüber, dass die Europäer bei wirtschaftlichen Investitionen zögern. Außerdem sind es nicht die Amerikaner, sondern die Europäer, die – wenn auch viel zu selten – den Finger in die offene Wunde Tschetschenien legen.

Wenn Putin heute die Regierungschefs in St. Petersburg empfängt, ist die symbolische Bedeutung kaum zu übersehen. Zar Peter der Große hatte die Stadt als Fenster zu Europa gegründet. Auch Putin führte sein Land näher an den Westen. Jetzt will er selbstbewusst seine Heimatstadt und sein Land in neuem Glanz präsentieren. Aber in St. Petersburg konnten die Schönheitsreparaturen nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich viel weniger verändert hat als erhofft. Genauso sind im ganzen Land die Reformversprechen Fassade geblieben. Innenpolitisch gab es sogar große Rückschritte: Putin hat dem Geheimdienst FSB nahezu alle Machtbefugnisse zurückgegeben, die der KGB in der Sowjetunion innehatte. Die Pressefreiheit ist im Sinne von Putins „gelenkter Demokratie“ massiv eingeschränkt. Der blutige Krieg in Tschetschenien geht weiter – ein Ende ist nicht absehbar. Wenn sich das Land nicht aus dieser Starre befreien kann, wird Putin später so in Erinnerung bleiben, wie er sich heute in St. Petersburg präsentiert: als aufgeklärter Zar.

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