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Meinung: Noch einmal über dünnes Eis

Der Bundesgerichtshof hebt das Urteil im zweiten Hamburger Terrorprozess auf

Der Herr im Weißen Haus in Washington wird es nicht gehört haben, aber die Worte richten sich direkt an ihn. Auf der anderen Seite des Ozeans, in der badischen Residenzstadt Karlsruhe, wurde ein Richter deutlich: Der Kampf gegen den Terror darf kein wilder, ungeregelter Krieg sein.

Mit dieser juristisch nicht nötigen und daher offenbar politisch gemeinten Anmerkung hob der Bundesgerichtshof ein Urteil gegen den marokkanischen Terrorverdächtigen Mounir al Motassadeq auf. Er stellt den weltweit ersten Prozess um die Anschläge vom 11. September damit wieder auf null. Jetzt ist alles möglich. Motassadeq könnte freigesprochen werden oder doch für Jahre ins Gefängnis kommen. Einstweilen ist nur wahrscheinlich, dass er anders als der Angeklagte des zweiten Hamburger Terrorprozesses, Abdelghani Mzoudi, vorläufig nicht auf freien Fuß kommt. Mzoudi ist freigesprochen worden, Motassadeq hat man immerhin schon einmal verurteilt.

Schuld oder Unschuld sind damit nicht erwiesen. Die Hamburger Justiz muss noch einmal über dünnes Eis, denn es spricht einiges gegen Motassadeq, aber eben nicht vieles. Mit dem gewichtigen BGH-Urteil im Gepäck kann es sein, dass sie auf ihrem Weg einbricht. Der erste Versuch, den 11. September mit rechtsstaatlichen Mitteln zu ahnden, wäre gescheitert. Die Amerikaner werden dann zeigen, ob sie es mit ihren Methoden besser können.

Gleichwohl ist es richtig, dass der BGH sich in einem politisch überlagerten Verfahren auf die Grundsätze des Strafprozesses besonnen hat. Die Anklage gegen Motassadeq stand unter keinem guten Stern. Natürlich kann sich auch ein erfahrenes Strafgericht nicht von allen öffentlichen Erwartungen frei machen, nicht bei einem Verfahren von weltpolitischer Dimension wie diesem. Die stärkste Macht der Erde verlangte ein hartes Urteil, und die Bundesregierung machte seinerzeit nicht den Eindruck, als wolle sie die Unabhängigkeit der deutschen Justiz mit Zähnen und Klauen verteidigen. Wenn Bartträger arabischer Herkunft dann auch noch in den Medien die sinnfällige Dauerillustration einer globalen Terrorgefahr abgeben müssen, fällt es doppelt schwer, im Zweifel für den Angeklagten zu sein.

Die Überforderung des Gerichts tritt jetzt, nach dem BGH-Urteil, noch deutlicher zu Tage. Dies bescheinigt den Hamburgern einen schweren Rechtsfehler. Zwar beklagte sich das Gericht mehrfach darüber, dass ihm der Zeuge Ramzi Binalshibh oder wenigstens Aussageprotokolle von ihm verwehrt würden. Es schwieg dazu aber in der Urteilsbegründung. Dabei hätte es mit der Nichtaussage genau wie mit einer Aussage umgehen müssen. Es hätte sie zu würdigen gehabt. Und damit womöglich seinen späteren Schuldspruch riskiert?

Ähnlich unglücklich verfuhr dasselbe Gericht in teilweise veränderter Besetzung im zweiten Prozess um Mzoudi, als plötzlich ein Fax vom Bundeskriminalamt auftauchte, das den Angeklagten entlastete – wahrscheinlich mit einer Aussage von Binalshibh. Prompt kam Mzoudi frei. Fast wirkte es wie eine Trotzreaktion, verständlich, doch womöglich falsch. Denn ob ein entlastendes Fax einen Angeklagten wirklich entlastet, muss das Gericht mit guten Gründen selbst beurteilen. Zeugen können lügen, Zeugnisse auch. Der zweite Terrorprozess könnte deshalb in Karlsruhe genauso durchfliegen wie der erste.

Doch darf man von der dritten Gewalt nicht erwarten, dass sie Fehler der ersten vollständig kompensiert. Die Bundesregierung hält Binalshibh-Aussagen bis heute unter Verschluss, weil sie, diplomatisch korrekt, den Amerikanern nicht in den Rücken fallen will. Diese Solidarität ist falsch. Dort ist der Kampf gegen den Terror zu einem staatlichen Willkürkommando herabgesunken, das die Menschenrechte – Stichwort Guantanamo – mit Füßen tritt. Vielleicht setzt der Supreme Court dem im Sommer ein Ende. So lange sollten wir hier nicht warten.

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