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Handynetz-Türme.

© dpa

NSA-Affäre: Auf dem Weg in den Nanny-Staat

Die Bürger werden immer transparenter. Die NSA macht sich die Pulverisierung dessen, was mal „Privatsphäre“ genannt wurde, zunutze. Und die Politik duldet das.

Na so was. Die NSA kann täglich Bewegungsprofile von einigen hundert Millionen Mobiltelefonbenutzern herstellen. Man glaubt es kaum. Oder doch? Hat man es nicht sogar geahnt? Die jüngste Enthüllung über das amerikanische Sicherheitsmonster, mit dem Edward Snowden uns bekannt gemacht hat, kommt in Begleitung einer banalen und bitteren Erkenntnis: Man gewöhnt sich dran.

Wer hierzulande der NSA-Affäre überhaupt größere Bedeutung für die Politik und das eigene Leben beimisst, der mag sich jetzt fragen, ob er bedeutend genug ist, damit die Amerikaner seine Telekommunikationsdaten genauso wie die von Angela Merkel speichern und analysieren. Weil die Sammelei zunächst nicht schmerzt, nimmt man auch diesen Hinweis Snowdens auf die politische Geografie von Neuland mit einem Schulterzucken: Wer nicht gerade im Grenzgebiet von Afghanistan und Pakistan mit seltsamen vollbärtigen Leuten mobiltelefoniert hat, dürfte beim nächsten Trip nach New York kein Einreiseproblem wegen ungeklärter Beziehungen zu undurchsichtigen Gestalten bekommen.

So kann man das sehen – und wäre ziemlich naiv. Denn was die Snowden-Papiere zeigen – zu den jüngsten Enthüllungen brachte die „Washington Post“ auch gleich noch behördliche Bestätigungen –, läuft auf eine düstere Erkenntnis hinaus. Transparenter wird nicht die Politik, transparent werden die Bürger. Fernmeldegeheimnis? Ein Wort von gestern, auch wenn man es im Grundrechtsteil des Grundgesetzes noch lesen kann. Die NSA macht sich die Pulverisierung dessen, was mal „Privatsphäre“ genannt wurde, zunutze, die Politik duldet das.

Von Barack Obama erwartet niemand den Versuch, die Sicherheitsdienste in einem Sinn zu kontrollieren, der dem besonderen Sicherheitsverständnis der Amerikaner widerspricht. Und hier bei uns gibt es keine Kraft, die in einer auf morgen gerichteten Weise Datenschutz, Freiheit und Sicherheit zusammendenkt.

Angela Merkel hat sich von der Attacke auf ihr Handy erholt. Die zum Mitregieren entschlossenen Sozialdemokraten haben ihre oppositionelle Empörung über Roland „Ende der Affäre“ Pofalla längst verdrängt – wer weiß, was über sicherheitstechnische Zusammenarbeit aus SPD-Regierungszeiten hätte transparent werden können. 17-mal findet man das Wort „Datenschutz“ auf den 185 Seiten des Koalitionsvertrags – aber man findet auch das Okay zur Vorratsdatenspeicherung. Und man findet ein Versprechen: „Um Vertrauen wiederherzustellen“, solle ein Abkommen mit den Amerikanern zum Schutz vor Spionage verhandelt werden. „Damit sollen die Bürgerinnen und Bürger, die Regierung und die Wirtschaft vor schrankenloser Ausspähung geschützt werden.“ Das liest sich gut – aber glaubt das jemand? Die Erwartung, dass Geheimdienste nicht nehmen, was die an Informationen bekommen können, ist so realistisch wie der Glaube, eine deutsche Regierung würde eine eingeführte Steuer wieder abschaffen. Die Opposition? Bis auf Christian Ströbele hat sie andere Sorgen.

Nicht weniger bestürzend als die politischen Aspekte der NSA-Affäre ist ein gesellschaftlicher: Bewegungsprofile können diesseits der Terrorbekämpfung auf viele Weisen genutzt werden, auch zum Ausbau des überfürsorglichen Nanny-Staates. Sie sind Teil des gigantischen Datenpools, den auch große Unternehmen nutzen. Noch ein Phänomen, mit dem wir leben, ohne darüber in der politischen Arena zu streiten.

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