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Obama müsste eine Alarmrede an die Nation halten, meint Christoph von Marschall.

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NSA-Affäre: Schluss mit den Halbwahrheiten

Weil Obama, Merkel und Hollande vor innenpolitischen Problemen stehen, speisen sie ihre Bürger mit Halbwahrheiten ab. Sie reiten die Empörungswelle über „die da drüben“ auf der anderen Seite des Atlantiks - anstatt offen über die Arbeit der eigenen Geheimdienste zu sprechen.

Es ist erschreckend, wie Tag für Tag Vertrauen verspielt wird. Nur eines ist noch bedenklicher: wie wenig die Regierungen auf beiden Seiten des Atlantiks tun, um diesen Vertrauensverfall zu stoppen. Barack Obama, Angela Merkel und – ganz voran – Francois Hollande hätten es in der Hand. Dazu müssten sie freilich den Mut aufbringen, ehrlich mit ihren Bürgern über das Schattenreich ihrer Geheimdienste und deren von oben gewünschter Kooperation zu sprechen.

Obama müsste eine Alarmrede an die Nation halten: Unter dem Schock des Terrorangriffs von 9/11 sind die parlamentarische und gerichtliche Kontrolle der Geheimdienste zu sehr gelockert worden. Man mag ihnen zugute halten, dass sie in den zwölf Jahren seither weitere, im Ausland geplante Anschläge verhindert haben. Doch sie führen inzwischen ein Eigenleben und tun Dinge, die dem nationalen Interesse mehr schaden als nützen. Amerika muss sein System der „checks and balances“ in Ordnung bringen. Diese Korrektur kann nur von innen kommen.

Die Geheimdienste haben Grund zur Zusammenarbeit

Merkel sollte in eine doppelte Offensive gehen: sich den amerikanischen Vertrauensbruch verbitten und den eigenen Bürgern erklären, dass die deutschen und amerikanischen Dienste aus gutem Grund zusammenarbeiten. Dank dieser Kooperation sind Anschläge in Deutschland verhindert worden. Bestes Beispiel ist die Sauerland-Gruppe, der man durch einen NSA-Hinweis auf die Schliche kam. Das rechtfertigt natürlich nicht das Ausschnüffeln der Deutschen. Der Protest dagegen wirkt aber glaubwürdiger, wenn die Kanzlerin den Sinn der Partnerschaft erläutert. Sie sollte erklären, warum Demokratien Geheimdienste brauchen und deren Arbeit nicht von vornherein moralisch fragwürdig ist. Man möchte doch hoffen, dass der BND, zum Beispiel, extremistische Kreise in Pakistan überwacht, um die Bundeswehr in Afghanistan vor Anschlägen zu schützen – und das nicht davon abhängig macht, ob pakistanische Datenschutzgesetze dem entgegenstehen.

Offenheit scheint nicht Opportun

Am dringendsten wäre ein offenes Wort von Hollande. Der hat sich vor zehn Tagen in die Pose des unerschrockenen Amerikakritikers geworfen, nachdem „Le Monde“ unter Berufung auf die von Snowden geleakten Unterlagen behauptet hatte, die NSA habe binnen vier Wochen mehr als 70 Millionen französische Telefonate ausgespäht. In dem Punkt scheint die Affäre nun aber eine andere Wendung zu nehmen. Offenbar hat nicht die NSA hier gespäht und gespeichert, sondern der französische Geheimdienst. Er habe die Daten an die NSA weitergereicht. Wenn das stimmt, stünde Hollande tatsächlich als Heuchler da.

Solche Offenheit erscheint Obama, Merkel und Hollande aber nicht opportun. Sie stehen vor großen innenpolitischen Problemen: Obama kämpft mit Pannen bei der nächsten Stufe der Gesundheitsreform, Merkel muss ihre Regierung bilden, Hollande droht vom Zorn der Straße über seine Reformprojekte hinweggefegt zu werden. Also reiten sie die Empörungswelle über „die da drüben“ auf der anderen Seite des Atlantiks.

Ähnlich verfahren die jeweiligen nationalen Medien. Sie prangern die tatsächlichen oder angeblichen Verfehlungen im Ausland an und wollen sich mit neuen Enthüllungen gegenseitig übertrumpfen. In fünf Monaten sind dabei neben vielen wertvollen Informationen auch viele Falschmeldungen produziert worden.

Es ist höchste Zeit für Korrekturen dieser absichtsvollen Halbwahrheiten. Amerika und Europa sind nur sicher, wenn sie einander vertrauen können.

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