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Auch Deutschland profitiert von den Ausspähungen der USA.

© dpa

NSA-Spionage: Unter Schnüfflern

Quer durch die Parteien in Deutschland herrscht Empörung über die Datensammlung der NSA. Wahr ist aber auch: Die "volle Souveränität" der Bundesrepublik ist eine Illusion, sie war es von Anfang an. Die Deutschen können es sich gar nicht erlauben, nicht mit den Amerikanern zusammen zu arbeiten.

Ach, diese Deutschen mit ihren Aufgeregtheiten! Seit Wochen beschäftigt der Zorn über die grenzenlose Datensammelwut des US-Auslandsgeheimdienstes NSA die deutsche Politik und die Medien. Quer durch die Parteien große Empörung. Die Kanzlerin spricht den Präsidenten auf den aus deutscher Sicht ungeheuerlichen Vorgang an, der Innenminister soll in Washington zeigen, wie böse wir sind – und gleichzeitig hat das zuständige amerikanische Bundesgericht zur Überwachung der nationalen Geheimdienste die Schnüffelkompetenzen der NSA massiv ausgeweitet. Diesseits des Atlantiks also das Bild einer Welt, wie wir sie gerne hätten. Jenseits des großen Wassers die Welt, wie sie ist.

So wie es aussieht, belügen wir uns selbst über die Realitäten. Und wir lassen uns auch belügen. Die „volle Souveränität“ der Bundesrepublik, dem Buchstaben nach schon im Deutschlandvertrag zwischen den drei Westalliierten und der Bonner Regierung 1955 besiegelt, war damals eine Fiktion, sie blieb es auch nach den Notstandsgesetzen und der mit ihnen verbundenen Einschränkung des Post- und Fernmeldegeheimnisses. Das war 1968, und Willy Brandt irrte, als er stolz verkündete, nun seien die alliierten Vorbehaltsrechte abgelöst worden.

Als Außenminister hätte er damals wissen müssen, was die Bevölkerung und die Medien misstrauisch allenfalls ahnen konnten – dass es begleitende geheime Verwaltungsvereinbarungen mit den USA, Großbritannien und Frankreich gab, die den deutschen Diensten eine Zuliefererrolle für die Auslandsspionage der Siegermächte zuwies. Man war ja unter sich, unter Schnüfflern, sozusagen.

Heute sei das aber nun wirklich alles Geschichte, wird beschwichtigt. Schließlich gibt es da doch den „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland vom 12. September 1990“, den sogenannten Zwei-plus-Vier-Vertrag. Da heißt es in Artikel sieben: „Die (vier Alliierten, d. Red.)... beenden hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes ... Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten“.

Aber was schon 1955 und 1968 nicht stimmte, war auch 1990 offenbar nur eine schöne Illusion, wie der Freiburger Historiker Josef Foschepoth feststellte. Seine nach Recherchen in Regierungsarchiven getroffene Feststellung, die aus den alten Verwaltungsvereinbarungen resultierenden (west-)alliierten Zugriffsrechte bestünden fort, wurde gerade vom Regierungssprecher mehr als halbherzig mit der Formulierung bestritten, das habe praktisch keine Bedeutung mehr.

Im Grunde ist das auch egal. Im Zweifel berufen sich die Amerikaner auf diese Vereinbarung oder sie lassen es, weil sie die deutsche Rechtslage nicht interessiert. Vermutlich ist nicht einmal die geheim tagende G-10-Kommission im Bilde, die über alle Einschränkungen des Artikels 10 des Grundgesetzes eigentlich informiert werden müsste. Innenminister Hans-Peter Friedrich kann sich seine USA-Reise schenken, er wird in Washington die Wahrheit so wenig wie in Berlin erfahren.

Unter dem Hinweis auf die Terrorfahndung wird die US-Administration jeden Eingriff in das Post- und Telefongeheimnis rechtfertigen. Dass für die USA die Sicherheit eine höhere Priorität hat als die Freiheit, hat Barack Obama gerade erst bestätigt. Vermutlich findet diese Abwägung auch bei uns große Zustimmung. Da den deutschen Diensten die Hamburger Terrorgruppe um jenen Mohammed Atta nicht aufgefallen war, der am 11. September 2001 eine der beiden entführten Passagiermaschinen in die Twin Towers steuerte, sollten die Deutschen hier auch etwas kleinlauter sein.

Es klingt kaltschnäuzig-realpolitisch, aber ohne die Zusammenarbeit mit den US-Diensten wären deren deutsche Partner in der Welt der Spionage und Terrorfahndung vermutlich ziemlich abgehängt – ohne „die“ können wir nicht, und das kostet. Die USA und Europa bilden eine Wertegemeinschaft, das ist richtig. Dass Amerika gerade die Deutschen in dieser Gemeinschaft am liebsten an kurzer Leine führen würde, aber auch.

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