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Unerfreuliches Telefonat mit der Kanzlerin: US-Präsident Barack Obama im Oval Office.

© dpa

NSA und Merkel: Es war ein Fehler, Obama zu vertrauen

Ein paar eher verschlüsselte Hinweise unter Freunden hätten nicht gereicht. Die Kanzlerin ist offenbar stocksauer auf US-Präsident Barack Obama. Der Chefredakteur des Tagesspiegels kommentiert die Staatsaffäre um das Merkel-Handy.

Eigentlich wäre das andere ja eine Beleidigung. Wäre also Angela Merkel geradezu desavouiert, wenn sie nicht auch abgehört worden wäre von der NSA. Denn dann wäre sie ja unwichtiger als der französische Staatspräsident, als die brasilianische Präsidentin, als der EU-Kommissionspräsident, als der mexikanische Präsident … Die Liste ist lange noch nicht vollständig. Aber im Ernst, allein diese Liste zeigt: Die Kanzlerin muss einfach abgehört worden sein.

Auch wenn sie es wohl selbst lange nicht wahrhaben wollte. Es konnte nicht sein, was nicht sein darf; andernfalls hätte Merkel gegen ihre Natur aktiv werden werden und beim amerikanischen Präsidenten Barack Obama sehr deutlich werden müssen. Ein paar eher verschlüsselte Hinweise unter Freunden hätten nicht gereicht.

Merkel muss wirklich ungehalten sein

Das hat sie jetzt aber auf dem EU-Gipfel nachgeholt. Und wenn die Kanzlerin schon verlauten lässt, dass sie sich beim Präsidenten beschwert hat, dann ist sie wirklich, wirklich ungehalten. Und das wird nachwirken, in Deutschland wie in Europa, zumal Deutschland mit der Langzeit-Regierungschefin Merkel an der Spitze zu einer Art Orientierungsmacht geworden ist. So wird das Swift-Abkommen mit den USA über Finanzdaten vielleicht ausgesetzt, und im Freihandelsabkommen wird der Datenschutz eine besondere Rolle spielen müssen. Oder es gibt so schnell kein Abkommen, das die Obama-Administration wegen der schwierigen wirtschaftlichen Gesundung noch dringender als die Europäer braucht – es soll Millionen Jobs in Amerika schaffen.

Eine halbe Milliarde Kommunikationsdaten wurden jeden Monat in Deutschland von der „National Security Agency“ abgefischt; jedes Jahr werden im Ausland 250 Millionen Online-Adressbücher abgefangen und gespeichert. Und ein Ende der Berichte über NSA-Aktivitäten im Verborgenen ist nicht in Sicht. Nur für den „Bundesminister für besondere Aufgaben“, Kanzleramtschef Ronald Pofalla, ist seit Monaten alles klar, kein Problem, der Vorgang abgeschlossen? Mit dem Grad persönlicher Betroffenheit ändert sich manchmal – so banal ist die Welt – die Einstellung. In dem Sinn hat sie sich bei Pofallas Chefin Merkel jedenfalls schon einmal geändert. Nur wäre es jetzt angebracht, dass die Bundesregierung – die neue – ihre Grundeinstellung änderte. Was bedeutet, nicht mehr zu bemänteln, was es an Differenzen gibt, sondern sie offen und öffentlich anzusprechen. Obamas Worte in Berlin, dass deutsche Mails nicht „durchwühlt“ würden, klingen doch nach.

Ein unvergleichlicher Vorgang

Im Kern hat auch das zur Einbestellung des US-Botschafters ins Berliner Außenministerium geführt. Was nicht bloß ein unvergleichlicher Vorgang ist, sondern auch, weil der deutsche Außenminister nur noch geschäftsführend im Amt ist, einem gezielten Affront gleichkommt. Die Bundesregierung – die alte – hatte nämlich Obamas Wort vertraut und entgegen allen Berichten darauf gebaut, dass die NSA unter Kontrolle ist. Dafür hat sie, nicht zu vergessen, herbe Kritik riskiert. Immerhin war Wahlkampf.

Der Satz „Auf deutschem Boden gilt deutsches Recht“ sollte deshalb jetzt auch konkret etwas bedeuten. Nach dem deutschen Strafgesetzbuch hätte der millionenfache Rechtsbruch Folgen, das Ausspähen von Daten ist ebenso strafbewehrt (bis zu drei Jahre Gefängnis) wie das Abfangen von Daten (bis zu zwei Jahre) und geheimdienstliche Agententätigkeit (bis zu zehn Jahre). Wahrscheinlich will keiner so weit gehen. Das Mindeste aber ist, NSA-Chef Keith Alexander in Deutschland, am besten in einem Bundestagsgremium, den parteiübergreifenden Unwillen vor Augen zu führen, dieses Verhalten weiter zu dulden, das mit Terrorabwehr nach 9/11 längst nicht mehr zu erklären ist.

Vielleicht hilft noch dieser Hinweis des früheren Bundesinnenministers Gerhart Baum: Schon in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 ist der Schutz der Privatheit angelegt. Sie ist Teil der Menschenwürde. Und eine auf Menschenrechte und Menschenwürde gegründete politische Ordnung war das Ziel des deutschen Grundgesetzes – und der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776.

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