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Meinung: Nun wollen alle wickeln

Wer Familie als Modell mit Zukunft erhalten will, darf sich nicht gegen das Elterngeld sperren

Von Robert Birnbaum

Es hat mehr als ein Jahrhundert gebraucht, bis die Weltsicht des Nikolaus Kopernikus von der verfolgten Ketzerlehre zum Stand der Wissenschaft avanciert war. Die kopernikanischen Wenden der Moderne dauern erheblich kürzer. Im Spezialfall „Elterngeld“ hat die Union gerade mal eine Woche gebraucht. Am Montag haben die Präsidien von CDU und CSU faktisch das neue Weltbild in der Familienpolitik anerkannt: Das Elterngeld soll kommen, es soll auch irgendeine Form der lautstark umstrittenen Väter- Komponente geben.

Im Detail steckt da reichlich Material für Streit. Aber er geht nicht mehr um die Frage, ob nicht doch die Erde im Mittelpunkt der Welt steht. Er geht, um halbwegs im Bild zu bleiben, allenfalls um die präzise Bahn der Planeten um die Sonne.

Der Schwenk hat eine Reihe von Gründen und Hintergründen. Dass die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel sich das Projekt als eines von kopernikanischen Ausmaßen zu Eigen gemacht hat, ist vielleicht noch der am wenigsten entscheidende. Wichtiger dürfte sein, dass die familienpolitischen Hardliner in CDU und CSU befürchten mussten, eben als Hardliner abgestempelt zu werden – Ewiggestrige, die den alten Machotraum von der KircheKücheKinderfrau unter dem Tarnmäntelchen der Verteidigung der Freiheit weiter träumen wollten. Das mag im Einzelfall eine ungerechte Unterstellung sein. Aber sie hat gewirkt. Dass der CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer die geplanten zwei Monate staatlich finanzierte Väter-Auszeit als „Wickel-Volontariat“ verulkt, ist der Spott, der bloß den Rückzug versüßt.

Nun wäre der Sinneswandel nicht so zügig verlaufen, wäre nicht die Union – auch und gerade die gerne als ultrakonservativ missverstandene CSU – längst auf dem Weg zum neuen Weltbild. Die CDU hat 1999 auf Betreiben der Generalsekretärin Merkel programmatisch anerkannt, dass Familie nicht mehr auf die klassische Rollenverteilung zu begrenzen ist. In der CSU erzählt Edmund Stoiber seit Jahren, wie ihn seine Töchter zur Realität berufstätiger junger Frauen bekehrt haben. Nun gezielt diesen jungen Frauen die Entscheidung zum Kind trotz Beruf zu erleichtern, ist nur logisch. Eine Extra-Auszeit auch der Väter zusätzlich zu belohnen, mag nicht zwingend sein, aber pädagogisch wertvoll. Wenn beide Eltern arbeiten, erzwingt das ein anderes Rollenverständnis der Männer in der Familie. Sonst funktionieren sie nicht. Gerade wer Familie als Modell mit Zukunft erhalten will, muss diesen Wandel also wollen.

Für Merkel ist es ein stiller Triumph. Einmal innerparteilich – sieben Jahre nach der Wende im programmatischen Familienverständnis beginnt die Theorie in der Praxis zu wirken. Zum anderen innerkoalitionär: Die SPD kann das Urheberrecht an moderner Familienpolitik reklamieren – aber wenn es so weitergeht, wird das bald die Politik der Kanzlerin sein. Diese taktische Chance wird den Weltbildwechsel in CDU und CSU gewiss mit beschleunigt haben.

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