zum Hauptinhalt
Israelische Kinder bei der Gasmasken-Probe: Droht ein Flächenbrand in der Region?

© dpa

Obama und Syriens Chemiewaffen: Jetzt beginnt die Woche der Entscheidung

In einer schicksalhaft aufgeladenen Atmosphäre muss der amerikanische Kongress über Obamas Syrien-Kurs abstimmen. Verabschiedet sich die letzte wirkliche Supermacht von einem globalen Mitgestaltungsanspruch?

Es war ein Montag. Am 22. Oktober 1962 wandte sich der amerikanische Präsident an die Weltöffentlichkeit. John F. Kennedy verkündete eine Seeblockade und forderte die Sowjetunion zum Abzug ihrer Raketen aus Kuba auf. Für den Angriffsfall drohte er mit einem atomaren Gegenschlag. Das Ende der Kuba-Krise ist bekannt. Moskau zog seine Raketen ab.

14 Jahre zuvor hatten sich die Supermächte ebenfalls gegenübergestanden. Am 25. Juni 1948 durchbrach schließlich der Militärgouverneur der amerikanischen Zone, General Lucius D. Clay, die sowjetische Blockade Berlins durch eine Luftbrücke. Auch das Ende der Berlin-Krise ist bekannt. Die Blockade wurde aufgehoben.

Am 12. Dezember 1979 verabschiedete die Nato ihren Doppelbeschluss. Dem Warschauer Pakt wurden Verhandlungen über atomare Mittelstreckenraketen angeboten. Gleichzeitig wurde die Aufstellung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in Europa angekündigt. Damit sollte ein Glaubwürdigkeitsdilemma der nuklearen Abschreckung behoben werden. Die „mutual assured destruction“ (gegenseitig zugesicherte Zerstörung) musste wegen der sowjetischen SS-20-Raketen ergänzt werden durch die „flexible response“ (flexible Antwort). Der Kalte Krieg endete, ohne dass ein einziger Schuss fiel.

Es lässt sich lange darüber streiten, ob es klug von Barack Obama war, im August vergangenen Jahres eine „rote Linie“ für den Fall gezogen zu haben, dass Syriens Diktator Baschar al Assad chemische Waffen einsetzt. Nicht darüber streiten lässt sich, dass Obama genau das getan hat – und dass, höchstwahrscheinlich von Regierungstruppen, eben jene Massenvernichtungswaffen eingesetzt wurden. Seitdem geht es darum, wie solche Massaker in Zukunft zu verhindern sind.

Obama und Syrien: Der Präsident könnte an Macht einbüßen

Ebenfalls lange lässt sich darüber streiten, ob Amerika auf dieses Verbrechen gegen die Menschheit mit begrenzten Militärschlägen antworten soll. Sie könnten das Leiden vergrößern statt lindern, Damaskus könnte – statt eingeschüchtert zu sein –, aus Verzweiflung erst recht Chemiewaffen einsetzen. Der Konflikt könnte noch schneller eskalieren, als er es ohnehin schon tut, hin zum Flächenbrand. Nicht darüber streiten lässt sich, dass ein amerikanischer Präsident, der in einer zentralen Frage der Außen- und Sicherheitspolitik nicht beim Wort genommen werden kann, erheblich an Macht einbüßt. Und womöglich nicht nur der Präsident selbst, sondern sein ganzes Land.

Das ist, in aller Kürze, die geradezu schicksalhaft aufgeladene Atmosphäre, in der der amerikanische Kongress diese Woche über Obamas Syrien-Kurs entscheidet. Verabschiedet sich, zumindest vorübergehend, die letzte wirkliche Supermacht von einem globalen Mitgestaltungsanspruch? Die Versuchung liegt nahe. Das Land ist pleite, kriegsmüde und durch Afghanistan und Irak gründlich desillusioniert. Und ausgerechnet Obama, der auch wegen seiner Ablehnung des Irakkriegs zum Präsidenten Amerikas gewählt worden war und den Friedensnobelpreis bekam, muss nun für eine interventionistische Politik werben, deren Risiken kaum auszurechnen sind. Eine bittere Ironie.

Der Meister des Worts wird zum Gefangenen seiner Worte. An diesem Dienstag wendet er sich an die Nation. Und, wie einst Kennedy, auch an alle Nationen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false