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Obdachlos: Besser als in Rumänien

Ein Rumäne lebt öffentlich in Berlin. Auf zwei Matratzen unter vielen Decken unter einer Brücke. Er ist sehr hoffnungsfroh. Und unser Kolumnist Helmut Schümann ist jetzt sehr nachdenklich.

In Berlin-Charlottenburg in der Windscheidstraße wohnt ein Mann. Er ist Mitte fünfzig, hat graue Haare, grauen Bart, wache Augen, ist freundlich, spricht kein Deutsch, aber passabel Englisch, ab und an sprechen wir miteinander. Der Mann lebt öffentlich. Seine Behausung besteht aus zwei Matratzen, darauf liegen viele Decken, der Mann wohnt unter der Brücke. Neben seinem Bett steht ein leerer Pappteller, so ein bunter Adventsteller, wie sie zur Weihnachtszeit meistens mit Plätzchen gefüllt werden. Hier im gutbürgerlichen Kiez legen Passanten immer wieder Geld auf den Teller, auch wird der Mann, wie sein Nachbar auf der anderen Straßenseite, von Kiezbewohnern mit warmem Essen unterstützt. Immer steht der Topf am anderen Morgen blank geputzt neben dem Bett. Manchmal liegt ein Zettel darin, darauf steht „Danke!“. So viel Deutsch kann der Mann. Am Abend sitzt der Mann oft mit seinem Nachbarn von der anderen Straßenseite auf den Matratzen zusammen, dann unterhalten sie sich angeregt, trinken Kaffee oder Tee aus Thermoskannen. Alkohol trinken sie beide nie. Zwei von geschätzt 4000 Obdachlosen in Berlin.

Zurzeit wird viel über die Verteilung staatlicher Gelder geredet. Dabei heißt es oft, dass die Obdachlosen und Bedürftigen zugunsten fremder Ankömmlinge zu kurz kommen. Ob das stimmt, kann ich nicht beurteilen.

Der Mann mit den grauen Haaren und den wachen Augen kommt aus Rumänien. Eigentlich sei er Schlosser, erzählt er, sucht Arbeit, hat aber bislang noch keine gefunden. An seinen Händen sieht man, dass er nicht als Pianist gearbeitet hat. Vielleicht liegt es an der Sprache, sagt er. Er versucht jetzt mithilfe von Zeitungen, um die er Passanten bittet, Deutsch zu lernen. Die Obdachlosenunterkünfte, in denen er die Sprache in Gemeinschaft vielleicht leichter lernt, sagt er, seien hoffnungslos überfüllt. Er kennt auch die Bahnhofsmission am Zoo, da geht er manchmal hin und steht für ein Essen an, wenn mal keiner der gutbürgerlichen Kiezbewohner für ihn mitgekocht hat. Der Temperatursturz der vergangenen Tage hat es ungemütlich gemacht, draußen zu leben. Aber es ist ja Winter, sagt der Mann, und die Temperaturen doch noch recht mild, da sei er anderes gewohnt in seiner Heimat. Und in seinem Schlafsack und unter seinen vielen Decken und mit der Hilfsbereitschaft der Menschen sei es erträglich, sagt er.

Und dann sagt er einen Satz, der sehr zu denken gibt: „Hier obdachlos zu sein, ist hundertmal besser, als in Rumänien zu leben.“

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