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Österreich: Wiener Pfeifen

Erst demontiert die SPÖ ihren Bundeskanzler, dann die Kehrtwende in der Europapolitik. Österreich widmet sich nach der EM wieder seiner Lieblingsdisziplin: der Selbstzerstörung.

Europameister sind die Österreicher, wie bekannt, nicht geworden. Aber überstrahlt von der positiven Wirkung des alpenländischen Zwei-Länder-Turniers haben sie gezeigt, dass sie in der Disziplin, ein politisches Schlamassel anzurichten, in Europa weit vorn liegen. Mit mühsam beherrschter Ironie hat „Die Presse“, das österreichische Traditionsblatt, in ihrer EM-Bilanz registriert, dass sich die Politik des Landes durch die internationale Aufmerksamkeit nicht „von ihrer sorgfältig geplanten Selbstzerstörungsarbeit“ abbringen ließ.

Versucht man zu resümieren, was Sozialisten und Volkspartei, die in Österreich zusammen regieren, in den vergangen Wochen geboten haben, so ist es in der Tat schwer, keine Satire zu schreiben. Erst demontierte die SPÖ ihren Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, indem sie ihm den Parteivorsitz abnahm. Die Operation war die Konsequenz eines Wahl- Bergsturzes bei den Landtagswahlen in Tirol – Österreich ist, was in Deutschland gern übersehen wird, ein föderales Land, in dem es in Wien schon donnern kann, wenn es in einem der kleinen Bundesländer blitzt. Ende vergangener Woche überraschte Gusenbauer dann mit einer abrupten Kehrtwende in der Europapolitik: künftig sollen EU-Vertragsänderungen durch Volksabstimmung entschieden werden.

Mehr als die plebiszitäre Wende alarmiert die Art und Weise, in der sie exekutiert wurde: nämlich an allen Parteigremien vorbei durch ein Schreiben Gusenbauers und seines De-facto-Nachfolgers Werner Faymann an den Pressemogul Hans Dichand, dem Chef des Massenblattes „Kronen Zeitung“. Weshalb man darin nicht so sehr einen Reflex der europäischen Unsicherheiten sehen muss, sondern eine Unterwerfungsgeste gegenüber dem Zeitungszaren. Denn Dichand ist nicht nur ein entschlossener Europagegner, sondern zugleich ein Verleger, der seine Pressemacht bedenkenlos einsetzt.

Das macht aus dem Hickhack in der alten, braven SPÖ einen politischen Offenbarungseid. Es wirft die in Österreich immer wieder gestellte Frage auf, ob man gegen die „Kronen Zeitung“ Politik machen könne – und beantwortet sie mit einer Kapitulation. Da die Wahrscheinlichkeit von Neuwahlen steigt, die SPÖ in den Umfragen weiter sinkt und Faymann als Freund des „Krone“-Chefs gilt, könnte die Regierungskrise in einer Wahlauseinandersetzung gipfeln, die massiv von einer Massenzeitung beeinflusst wird und an deren Ende ein Kanzler von Gnaden der „Krone“ steht.

Selbst wenn man der österreichischen Politik einen vom Proporz und der Kunst der Winkelzüge geformten Gleichgewichtssinn zutraut, nach dem es am Ende doch nicht so schlimm ausgeht, sind das düstere Aussichten. Denn wie aus den verzweifelt-gewagten Manövern der SPÖ etwas Vernünftiges werden soll, ist zumindest von außen nicht zu erkennen. Eher muss man befürchten, dass sie den Boden der Politik weiter abtragen. Er ist ohnedies durch Parteitaktik und Affären hinlänglich belastet.

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