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Meinung: Ohne Halt

Von Clemens Wergin

Mosche Katsav galt in Israel jahrelang als langweiliger Präsident. Nach dem Finanzskandal um Katsavs streitbaren Vorgänger Ezer Weizman hatte sich die Knesset für Katsav und gegen Schimon Peres als Präsidenten entschieden. Ein unauffälliger Mann an der Staatsspitze würde dem politisch polarisierten Israel guttun, dachten damals viele. Nun steht der langweilige Präsident im Zentrum eines der größten Polit-Skandale, den Israel je erlebt hat. Weizman war zurückgetreten, obwohl die Ermittlungen gegen ihn aus Mangel an Beweisen eingestellt wurden. Katsav will im Amt bleiben, obwohl er wegen Vergewaltigung angeklagt werden soll.

Die Unschuldsvermutung gilt auch für Präsidenten, und demokratische Länder haben unterschiedliche politische Kulturen hinsichtlich der Frage, wie bei Justizverfahren gegen hochrangige Politiker vorzugehen sei. In Deutschland gilt eine Anklage als Rücktrittsgrund, in Italien offenbar nicht, wie das Beispiel Berlusconi gezeigt hat, der trotz mehrerer anhängiger Prozesse 2001 von einer Mehrheit der Italiener gewählt wurde. Die Meinung der Israelis jedoch ist klar: Etwa 70 Prozent wollen, dass Katsav geht, um Schaden von seinem Amt und dem Staat abzuwenden. Spätestens seit seiner wirren Pressekonferenz am Mittwochabend, bei der er Medien, Polizei und Staatsanwaltschaft der Verschwörung gegen ihn bezichtigte, ist klar: Dieser Mann ist nicht zu halten.

Israels Politik durchläuft eine Phase großer Instabilität. Premier Ehud Olmert ist nicht nur wegen des Libanonkriegs geschwächt, sondern auch gegen ihn wird – wegen Korruption – ermittelt und er verliert in der Bevölkerung wie in der eigenen Partei rasant an Rückhalt – genauso wie die zweite Säule der Koalition, Verteidigungsminister Amir Peretz von der Arbeitspartei. In einer Zeit, in der Bundesregierung, Bushregierung und die EU sich um eine Wiederbelebung des Nahostprozesses bemühen, sind die Konfliktparteien kaum politisch handlungsfähig. Israels Regierung weiß nicht, wie lange sie noch durchhalten kann und bei den Palästinensern ist die Machtfrage zwischen Fatah und Hamas weiter nicht entschieden. Mehr als Placebo-Politik können die internationalen diplomatischen Bemühungen also derzeit nicht sein. Merkel, Bush und Solana sind allenfalls in der Lage, den Boden für die Zukunft zu bereiten und zu signalisieren: Wir wären übrigens bereit, euch zu helfen – irgendwann, wenn ihr dazu bereit seid.

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