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Diskuswerfer Robert Harting holte in London Gold. Fehlt vielen anderen deutschen Athleten der "Killerinstinkt" zum Siegen?

© dpa

Olympische Spiele: Sieger wie wir

Bei Olympia 2012 in London wirken die deutschen Athleten oft wie Weicheier, fast wie die Jogi-Boys bei der Fußball-EM. Das ist kulturell bedingt: Siegenwollen ist hierzulande keine Tugend mehr.

Natürlich wollen wir Sieger sehen und Sieger sein. Nicht immer nur Zweite, Dritte, Vierte oder ehrenvoll Dabeigewesene. The winner takes it all, selbst wenn der Song von Abba war, die Botschaft stimmt doch. Im Sport tanzt die kollektive Siegesfreude häufig auf dem Grat des fröhlichen Patriotismus, aber solange sie eben freudig tanzt, stürzt sie noch nicht ab in grölenden Nationalismus.

Wir wollen Sieger sehen. Nicht aus Überheblichkeit, sondern ganz einfach, weil Gewinnen meist schöner ist als Verlieren. Weil Sport am spannendsten ist, wenn man sich als Zuschauer mit jemandem identifiziert und nicht bloß mit interesselosem Wohlgefallen zuschaut und sagt, der Bessere möge gewinnen. Das wird auf Dauer langweilig und es ist im Grunde sogar unsportlich. Im Stadion herrschte dann vornehme Stille – und die Sportler würden uns was pfeifen.

Nein, wir wollen Sieger sehen. Wie jenen bärigen Berliner Diskuswerfer Robert Harting, der trotz Wetter, Wind und Widrigkeiten das Ding mit einem vorletzten Wurf noch dreht. Es rausreißt. Einer, der die eigenen Nerven besiegt – also ein Mensch, keine Maschine – und den Gegner auch. Denn der Sieg im Sport ist mehr als die schiere Überwindung der eigenen Schwächen. Es braucht dazu den friedlichen, sportlichen, aber auch unbedingten: Killerinstinkt.

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Das alles klingt, obwohl hier friedlich, sportlich und zugleich symbolisch gemeint, nach Kampf. Zu Recht. Sport ist nicht Mord. Aber Kampf, das allemal. Und dieser Olympionike (wörtlich übersetzt: Olympiasieger) mit dem Diskus, der sich selber so fordernd wie selbstbewusst „der Harting“ nennt, er hat in der kühlen Londoner Nacht gebrannt. Wie wenige andere bisher im deutschen Olympiateam. Als er dann in einer Explosion der Freude sich das Trikot zerriss und der Welt die bare Brust bot, war das sein Markenzeichen. Es zeigt mehr Herz als nur die plumpe Machopose.

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Und doch, Harting machte in diesem Moment auch den Balotelli. Man erinnere sich an den italienischen Doppeltorschützen im EM-Halbfinale gegen Deutschland in Warschau. Seitdem haben sich Fußballexperten, Fans und Feuilletonisten viele Gedanken gemacht, ob jene sympathischen deutschen Jogi-Boys wirklich Siegertypen seien und nicht nur künstlerisch begabte, aber mental und kämpferisch limitierte Weicheier. Nennen wir es mal das „Warschau-Gefühl“.

Selbst aufgeklärte Kosmopoliten, denen die deutschen Erfolge und Misserfolge trotzdem näher gehen als koreanische oder kasachische Medaillen, hat während der Londoner Spiele das Warschau-Gefühl schon öfters beschlichen. Dabei lassen wir mal die Frage beiseite, ob chinesische Schwimmer oder amerikanische Leichtathleten härter, effizienter oder womöglich unsauberer trainieren (nach dem Motto: no dope no hope). Oder ob britische Privatschulen den Sport früher und fröhlicher fördern als bei uns etwa Leistungsgruppen der Bundeswehr.

Sieger-Typen sind ungeachtet aller individuellen Begabung und materiellen Förderung wohl immer auch kulturell bedingt. Werte wie Ausgleich, Kompromiss, Vernunft, Harmonie sind in Deutschland heute vergleichsweise hoch angesehen. Das ist ein humaner Fortschritt. Aber es macht das archaische Besiegenwollen und Siegenkönnen nicht unbedingt leichter.

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