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Meinung: Olympisches Finale: Gold statt Blei - das ist der Wert

Hat sich denn gar nichts geändert? Wie ein Rückfall in die Zeiten des Kalten Krieges wirkte der Auftritt des Präsidenten des russischen Nationalen Olympischen Komitees (NOK) vor der Weltpresse.

Hat sich denn gar nichts geändert? Wie ein Rückfall in die Zeiten des Kalten Krieges wirkte der Auftritt des Präsidenten des russischen Nationalen Olympischen Komitees (NOK) vor der Weltpresse. Die Russen drohten sogar, ihre Olympiamannschaft vorzeitig aus Salt Lake City abzuziehen, weil sie sich im Land des einstigen Klassenfeindes fortdauernd benachteiligt fühlten. Sie blieben. Doch womöglich wird die russische Mannschaft heute bei der Schlussfeier fehlen. Ist es das, was von den Olympischen Spielen des Jahres 2002 bleibt, eine sportpolitische Krise?

Das kann sein, und trotzdem waren diese Spiele erfolgreich. Vielleicht ja sogar gerade deshalb. Denn womit hatte man sich vorher beschäftigen müssen? Milzbrandanschlag, Flugzeugentführung oder Selbstmordattentat - solche Gefahren gerieten in einen Zusammenhang mit dem größten Sportfest der Welt. Es wurde mit dem Schlimmsten gerechnet; die Anschläge vom 11. September hatten den Charakter der Spiele verändert. Plötzlich war nicht mehr von Frieden oder Völkerverständigung die Rede, es ging um Sicherheit. Manche Athleten flogen voller Angst nach Salt Lake City. Nach 17 Tagen in der Mormonenstadt aber wird im öffentlichen Bewusstsein bleiben: umstrittende Kampfrichterwertungen, angefochtene Schiedsrichterentscheidungen, komplizierte Regeln. Man muss froh darum sein.

Bei diesen Spielen hat der Sport zu sich selbst gefunden. Im positiven wie im negativen Sinne. Streitigkeiten um Regeln und ihre Auslegung gehören dazu. Auch im Fußball vergeht kein Bundesliga-Spieltag, ohne dass eine Schiedsrichter-Entscheidung angezweifelt wird. Die Diskussionen in Salt Lake City entbrannten an einer Sportart, die sich nicht so einfach messen lässt wie ein 100-Meter-Lauf: Eiskunstlauf. Er hat eine Tradition an strittigen Entscheidungen. Immer wieder gab es Preisrichter, die im Verdacht standen, bestochen zu sein oder sich abgesprochen zu haben. Doch der Skandal um das ungerecht bewertete kanadische Paar erweist sich als nützlich. Der Verbandspräsident kündigte neue Regeln an, die Betrug erschweren sollen.

Der Sport erlitt allerdings auch Schaden. Unter großem Druck der nordamerikanischen Öffentlichkeit hatte das Internationale Olympische Komitee den Kanadiern eine zweite Goldmedaille zugestanden - zu schnell. Das sandte ein falsches Signal aus, für die Zukunft und die Spiele: Entscheidungen sind verhandelbar. Man muss nur genug Druck ausüben. Fortan häuften sich die Proteste. Litauer, Koreaner und vor allem Russen fühlten sich nicht gerecht behandelt. Ihre Anfechtungen waren nicht vergleichbar mit dem ersten Fall, bei dem nachträglich eine Regelverletzung festgestellt worden war. Und die russischen Einwände muten zum Teil äußerst seltsam an; so bemängelten sie Schiedsrichterentscheidungen in einem Eishockeyspiel, das sie gewonnen hatten. Als sollten politische Proteste von sportlichem Niedergang ablenken.

Doch hat die russische Empfindlichkeit ihren Grund. Amerikanischer Patriotismus, manchmal auch Chauvinismus fordert Reaktionen heraus; das gilt erst Recht bei einer Nation, die sich einmal als politisch ebenbürtig betrachtet hat. Wenn Amerikaner sich selber feiern, kommt bei allen anderen das Gefühl auf, eine Party ohne Einladung zu besuchen. Nun kann man sich selber ausschließen, wie es die russischen Funktionäre vorhatten. Oder mitfeiern. Wie die russische Eiskunstläuferin Irina Slutskaja. Beim Schaulaufen gab sie den Amerikanern, was sie brauchen: Show im Cowboykostüm. Oder wie die russischen Eishockeyspieler. Die unterlagen in einem dramatischen Halbfinale den USA 2 : 3 - und umarmten die Sieger. Kein Wunder, 20 der 23 Russen verdienen ihr Geld in der nordamerikanischen Profiliga. Sie kennen sich, sie mögen sich, sie sind Teil des großen Spiels. Da soll noch jemand sagen, es hätte sich nichts geändert.

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