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Ordnungsamt, Verbote, Bürgersinn: Berliner Pflänzchen

Grillen im Tiergarten wird verboten, Knöllchenschreiber erhalten mehr Macht. Doch Kontrollen von oben passen nicht zu Berlin. Die Stadt braucht mehr Anreiz und Ermutigung für persönliches Engagement.

Von Markus Hesselmann

"Das tut man hier nicht“, herrscht der Passant den Bettler an, der im Mülleimer nach Verwertbarem sucht. „Geh arbeiten!“ Der deutsch-britische Autor W. G. Sebald schildert die Szene, die er auf einem seiner wenigen Heimatbesuche in München erlebt hat, in einem Interview seiner britischen Gesprächspartnerin als Beispiel dafür, dass die herrische Ordnungsfixiertheit immer noch in uns Deutschen steckt. Wer in Berlin lebt, weiß, dass dieses Deutschland hier nicht mehr ist. Und ist darüber froh. Wir leben in einer toleranten Stadt, in der die Utopie des Alten Fritz schon auf Erden weitgehend verwirklicht ist. Und wir erschrecken, wenn wir einen großen Schriftsteller wie Sebald, der sich sein Leben lang literarisch mit der deutschen Vergangenheit beschäftigt hat, so über unser Land reden hören. Schon wegen dieser Vergangenheit fällt es uns schwer, so etwas wie Ordnung, Sauberkeit oder gar Disziplin für einen Wert zu halten.

Noch ein Satz eines berühmten deutschen Wahl-Engländers: In seiner alten Heimat existiere „keine Idee eines öffentlichen Raumes“, sagt der Soziologe und große Liberale Ralf Dahrendorf. Die Deutschen wollten dort „möglichst in Ruhe gelassen und schon gar nicht kontrolliert werden. Hauptsache, keiner nimmt einem die Flasche Bier ab“.

Das trifft schon eher die Situation in Berlin. Allerorts und jederzeit Alkohol zu trinken, Pullen und Kippen auf die Straße zu werfen, Hundehaufen nicht wegzumachen usw. usf. gehört hier zum Lebensgefühl. Die meisten von uns ahnen zwar, dass es ohne eine gewisse Ordnung nicht geht, aber im Zweifel sind nicht wir dafür zuständig, sondern das Ordnungsamt. Die große oder sich für groß haltende Politik hat sich durch die Schaffung dieser hilflosen Bezirksbehörden von dem Problem entlastet. Es wirkt wirklich so, als hätte hier keiner  Interesse am öffentlichen Raum – und schon gar keine Idee.

In Zeiten rot-schwarzer Zusammenarbeit wird nun an den Ordnungsämtern herumgedoktert. Knöllchenschreiber sollen künftig auch andere Alltagsvergehen ahnden. Und wegen der Müllberge im Tiergarten wird das Grillen dort gleich ganz verboten. Aus dem Haupt-Dilemma hilft das nicht heraus: Verbieten ist billig, Verbote durchsetzen nicht. Berlin wird nie genug Geld haben, um genug Kontrolleure loszuschicken. Und Berlin will das auch gar nicht, denn Kontrolle von oben passt überhaupt nicht zu unserer Stadt.

Es geht auch nicht darum, Bettler zu drangsalieren, sondern ein gewisses Maß an gegenseitiger sozialer Kontrolle zu ermöglichen. Das ist nicht utopisch, dafür gibt es Ansätze. Auf dem Tempelhofer Feld bleiben die Grünflächen intakt, die von Bürgern betreut werden. Rücksichtslosigkeit lässt offenbar nach, wenn sie nicht mit Autorität, sondern mit Bürgersinn konfrontiert wird. Auch die zahlreichen Hobbygärtner, die rund um Straßenbäume Beete anlegen, hoffen auf diesen Effekt: Die Hemmschwelle, dort seinen Hund hinmachen zu lassen oder Kippen und Bierdosen abzuwerfen, wird höher. Berlin braucht mehr Anreiz und Ermutigung für persönliches Engagement dieser Art, etwa durch Wettbewerbe mit ausgelobten Preisgeldern oder Steuerentlastungen für Bürger und Geschäftsleute, die sich um ihre Umgebung kümmern.

Und wenn von der großen oder sich für groß haltenden Berliner Politik mehr kommt als Sprüche der Marke „Berlin ist nicht Haiti“, wäre das ein Beitrag – sowohl reizvoll, als auch ermutigend.

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