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Meinung: Ostdeutschland wird abgeschafft

Die ökonomische Beziehung zwischen alten und neuen Bundesländern muss sich ändern

Von Antje Sirleschtov

Reden wir nicht lange drumherum: Der gute alte Solidarpakt des Westens für Ostdeutschland ist nichts mehr wert. Eine große Koalition aller ostdeutschen Regierungschefs hat ihn gerade gemeinsam mit Aufbau-Minister Manfred Stolpe (auch einstmals ostdeutscher Ministerpräsident) zu Grabe getragen. Vereinbart waren 156 Milliarden Euro Zuschüsse aus den alten Bundesländern, damit der Osten bis 2019 nun endlich ökonomisch auf die Beine kommt. Übrig geblieben ist eine diplomatisch formulierte Solidaritätsadresse, deren Zerstückelung wir alle in den nächsten Jahren beobachten werden.

Fast ein Jahr lang hat Stolpe mit den Länderregierungen darüber gestritten, ob und wie man die versprochenen Milliarden aus dem Westen in Zukunft sinnvoller einsetzen kann, als das Geld, das seit 1990 geflossen ist. Nun wissen alle: Die Ostdeutschen (auch Stolpe) wollen bei der Wirtschafts- und Infrastrukturförderung so gut wie nichts verändern und sich bei der Verwendung des Geldes auch in Zukunft nicht in die Karten gucken lassen. Nur eins hat die Ministerpräsidenten am Ende wirklich interessiert: Ein Gesetz, in dem steht, dass die jährlichen Blankoschecks aus dem Westen nicht gekürzt werden dürfen. Man kann sie schon hören, die Klagen der westdeutschen Zahlerländer. Darüber, dass man selbst langsam verarmt. Und darüber, dass mit den Überweisungen nun wirklich langsam mal Schluss sein muss, wenn die Hilfsgelder zwischen Zittau und Rügen sowieso nur in Haushaltslöchern versickern.

Dass es so gekommen ist, wie es ist, war im Grunde abzusehen, seit klar war, wer am Verhandlungstisch sitzen wird: Auf der einen Seite die Länder, die die Milliarden dringend brauchen, um damit die Schulden zu bezahlen, die sie selbst in den letzten 15 Jahren aufgenommen haben. Und auf der anderen Seite Stolpe, der die Frage nach Sinn und Unsinn der Milliardenhilfen für Ostdeutschland sowieso niemals stellen würde. Denn sie untergrübe sein politisches Selbstverständnis vom deutsch- deutschen Vereinigungsweg, den nun schon seit 15 Jahren der große Begriff der Solidarität überzieht. Hier der Westen, seit Kriegsende auf der ökonomischen Gewinnerseite Deutschlands. Dort die neuen Bundesländer, ausgemergelt durch lange Jahrzehnte des Sozialismus, angewiesen auf die Unterstützung der Brüder und Schwestern jenseits der alten Mauer, um wieder auf die Beine zu kommen. Der Solidarpakt II: Im Grunde genommen der Versuch einer Ostpolitiker-Generation, die Verstrickungen der eigenen Vergangenheit mit einem neuen Milliardenkredit zu entwirren.

Stolpes Enkel interessiert das ganze Überwölbende der Wiedervereinigung natürlich überhaupt nicht mehr. Und der Hoffnung, der Staat müsse nur ordentlich mit Schulden klotzen, dann werde die Industrielandschaft im Osten schon irgendwann aufblühen, dieser Hoffnung hängen sie auch nicht mehr an.

Deshalb ist es vielleicht auch gar nicht schlimm, wenn all die Neuordnungen, die dem ganzen Land in den nächsten Jahren bevorstehen – von den Änderungen der föderalen Beziehungen bis hin zur Steuerreform – zwangsläufig zu einem neuen Verständnis und einer neuen Bewertung des Solidarpaktes zwischen West und Ost führen werden. Ob dabei am Ende, und bis dahin sind es immerhin noch lange 15 Jahre, wirklich die versprochenen 156 Milliarden Euro – oder weniger – abgerechnet werden, ist gar nicht so wichtig.

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