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Die letzten Züge des Abrisses vom Palast der Republik. Jetzt wird auf dem Gelände das Berliner Stadtschloss wiederaufgebaut.

© dpa

Palast der Republik, ICC und "Wasserklops": Berlin wird jeden einzelnen Abriss überstehen

Die Moderne fordert unentwegt Verluste, um Neues entstehen zu lassen. Das Gefühl der Entbehrung, das damit einhergeht, hat der verstorbene Wolf Jobst Siedler in "Die gemordete Stadt" beschrieben. Heute hat Berlin zum Glück keinen Anlass mehr, um über verlorene Urbanität zu trauern.

Die Deutschlandhalle ist abgerissen, dem ICC droht dasselbe Schicksal, der „Wasserklops“ steht auf der Roten Liste. Die Zeiten fordern ihren Tribut, und was nicht modern genug ist, muss weg. Ein diffuses Gefühl ständigen Verlustes begleitet all diese, für sich genommen erklärbaren Entwicklungen. Ein Gefühl wie jenes, dem der verstorbene Wolf Jobst Siedler 1964 mit dem genialen Buchtitel „Die gemordete Stadt“ Ausdruck gab.

Es war der „Abgesang“ auf das alte Berlin. Die Neuauflage des Buches 14 Jahre später rief nur ein müdes Déjà-vu hervor. Man wusste ja nun alles. Wusste man alles? Und hatte man etwas begriffen? Aushelfen musste der Hinweis auf eine Internationale Bauausstellung, die, nicht zuletzt unter geistiger Geburtshilfe Siedlers, eben erst ins Leben zu treten begann. Diese IBA ’84/’87 holte denn auf ihrem abgezirkelten Gebiet nach, was Siedler 1964 so dringlich vorgetragen hatte: die Erhaltung und, wo bereits verloren, Wiedergewinnung des Urbanen.

Ringen um Urbanität und Moderne

Um dieses „Urbane“ wird seit mehr als einem vollen Jahrhundert gerungen. Längst war erkannt, dass Urbanität und Moderne in einem, gelinde gesagt, Spannungsverhältnis zueinander stehen, dass die Beschleunigung, Individualisierung und Verflüchtigung ins Virtuelle, die die Moderne kennzeichnen, dem Urbanen entgegenstehen und es zerstören. Die Moderne fordert unentwegt neue Verluste. „In der Tat waren Freud und Gropius so radikale Neuerer wie Marx“, hat Siedler formuliert: „Fünf Jahrzehnte noch, und die Stadtlandschaft Europas ist unkenntlich gemacht. Aus solcher Perspektive aber wird deutlich, dass es nicht den Bombenkrieg brauchte, das Gesicht der Häuser wie der Städte zu zerstören: Die Architektur ging dem 8. Bomberkommando voraus, und wo dieses nicht hinkam, half das schlechte Gewissen eines verspäteten Modernismus nach.“

964 waren die Bombergeschwader im Bewusstsein noch sehr präsent, die die Urbanität Berlins in Schutt und Asche gelegt hatten. Das ist Vergangenheit. Das Problem selbst blieb. Die IBA fand darauf als Antwort, zurückzukehren zu Dichte und Struktur, die die Stadt einmal ausgezeichnet hatten. Es ist dies als Erkenntnisstand bis heute geblieben. Senatsbaudirektor Hans Stimmann, nach der Wiedervereinigung 1990 15 Jahre lang der starke Mann der Berliner Baupolitik, focht gegen die Partikularinteressen von Investoren, die nur ihr eigenes Grundstück im Auge hatten. Manches ließ sich steuern, vom Straßenraster bis zur Traufhöhe.

Urbanität fällt nicht vom Himmel

Urbanität als solche, wie sie Metropolen wie London oder Paris eigen ist, jedoch kaum. Es sind die Bürger der Stadt, wir alle, die das Städtische suchen – oder aber sich zurückziehen, ob in die Shopping-Mall oder hinter den Computer.

Die einst „gemordeten“ Stuckfassaden und Hinterhöfe kehren nicht zurück. Wo Neues entstanden ist, erweist es sich am stärksten im Verbund mit dem Alten, das die Zeiten überdauerte, ob in Mitte oder anderswo. Berlin hat zum Glück keinen Anlass mehr, um verlorene Urbanität zu trauern. Nach der Wiedervereinigung hat die Stadt vieles von dem zurückgewonnen, was sie einst ausgezeichnet hat, selbst wenn dies bisweilen mehr der Verklärung entsprang als historischen Tatsachen. Jeden einzelnen Abriss wird Berlin überstehen. Wenn es nur bewusst bleibt, dass Urbanität nicht vom Himmel fällt. Sondern zuallererst etwas ist, das die Bürger selbst schaffen und verantworten.

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