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Meinung: Pause ohne Denken

Schlimmer als kein neuer Haushalt für die EU ist einer, der alles beim Alten lässt

Der Sommer 2005, so werden Historiker einmal urteilen, hätte zum Frühling Europas werden können. Die Gelegenheit war einzigartig: Plötzlich waren all die eingestaubten europäischen Einweckgläser aufgeplopt, es hätte, nach den gescheiterten Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden und nach dem Haushaltsstreit, ans Eingemachte gehen können – um Geld, Größe und den Geist dieser Union. Doch am Ende dieser Woche werden wir wohl wieder einmal in die übernächtigten Gesichter all jener blicken, die dieses Europa derzeit verkörpern, und wissen, dass es mit dem Frühling nichts geworden ist.

Den hatte uns vor allem Tony Blair versprochen. Am 23. Juni hielt der britische Premier eine furiose Rede im Europaparlament. Seine Schlussworte damals: „Die Menschen Europas fordern von uns politische Führung. Es ist Zeit, dass wir sie ihnen geben.“

Was Blair aber nun als Haushaltsvorschlag auf den Tisch legt, ist enttäuschend. Auch die nachgebesserte Form lässt das größte Einweckglas, die europäischen Agrarsubventionen, auf dem Küchenregal. Die angekündigte Revolution ist ausgeblieben, das Versprechen großer politischer Führung für Europa unter britischer Ratspräsidentschaft nicht eingelöst.

Doch die viel größere Enttäuschung ist eine andere: dass der britische Vorschlag, bei aller Kritik, die zu hören ist, durchaus Chancen auf Erfolg hat. Die Kürzung des Budgets kommt beim Großzahler Deutschland gut an, die unveränderte Unterstützung der Bauern bei den Franzosen, und die Mitteleuropäer sind so sehr aufs Geld angewiesen, dass sie sich viel Widerstand nicht leisten können. Und weil für die Union ein weiteres Scheitern des Haushalts einer politischen Katastrophe gleichkäme, stehen die Chancen – trotz der starken Anti-Blair-Stimmung – für einen Kompromiss nicht ganz schlecht.

Um einen solchen typisch europäischen Mini-Erfolg für sich verbuchen zu können, ist Blair vom Visionär zum Taktiker geschrumpft: Als Taktiker lässt er vieles beim Alten, als Taktiker wird er vermutlich weitere Konzessionen beim so genannten Britenrabatt machen – während des Gipfels. An seine Vision vom Juni glaubt er selber nicht mehr.

Dennoch: Die Chance, über das Haushaltsthema der EU eine neue Identität zu vermitteln, wäre damit vertan. Die wichtigsten Fragen blieben ungeklärt, das strukturelle Problem des EU-Haushalts, dass 40 Prozent für die Landwirtschaft aufgebracht werden, bliebe erhalten. Ein neuer Haushalt beendete vorzeitig die „Denkpause“, von der die Euro-Einwecker mitten in der sommerlichen Krise noch gesprochen hatten. Sie bliebe eine Pause ohne Denken. Scheitert der Gipfel, dann scheitert nicht nur Blair.

Wer wenig wagt, gewinnt. Das ist die europäische Lektion, die Blair als Ratspräsident lernen musste. Hätte er doch bloß im Juni keine uneuropäischen Erwartungen geweckt! Dann fühlte sich Europas Winter nun nicht so kalt an.

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