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Meinung: PDS-Debatte: Phantomschmerz in der lange eingemauerten Stadt

Was der Sowjetkommunismus auch in Deutschland angerichtet und hinterlassen hat, das darf man nicht vergessen oder verharmlosen. Aber ebenso wenig waren die Hoffnungen, die viele an ihn knüpften, eo ipso verwerflich.

Was der Sowjetkommunismus auch in Deutschland angerichtet und hinterlassen hat, das darf man nicht vergessen oder verharmlosen. Aber ebenso wenig waren die Hoffnungen, die viele an ihn knüpften, eo ipso verwerflich. Der Kommunismus ist tot - der Antikommunismus ist sein nachwirkender Phantomschmerz: Sowie in der (medialen) Öffentlichkeit eine Vertreterin oder ein Vertreter der PDS auftaucht, wirken Pawlowsche Reflexe. Die emotionalisierte Diskussion mündet in erregtes Durcheinanderreden.

Arnulf Baring entgleisen, Lothar Bisky gegenübersitzend, die Züge - und die Sätze. Michel Friedman schreit Klaus Wowereit (nach einer triumphierenden Belehrung über die "wahre" Zahl der Maueropfer) zu, er wolle mit denen an die Macht, "an deren Händen Blut klebt". Eckart Werthebach demonstriert gestisch und verbal seine ganze Verachtung gegenüber Petra Pau, die angesichts ihres Alters wahrlich nicht für Mielke und den Mauerbau verantwortlich zu machen ist. Wo Gregor Gysi auftaucht, beginnt die "Stunde der Komödianten" - er wird auf seinen Unterhaltungswert reduziert. So kann man darauf verzichten, sich mit seinen Argumenten geschliffen auseinander zu setzen.

Der PDS-Vorstand verabschiedet eine Erklärung zum Mauerbau, deren generelle Absage an den "Sozialismus in den Mauern der DDR" nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig lässt; aber moniert wird fast allgemein, die PDS habe sich "nicht entschuldigt", sondern nur "taktisch bedauert".

In Berlin ist ein Eine-Stadt-Bewusstsein auch zwölf Jahre nach dem Mauerfall ausgeblieben. Zu tief hat sich die Teilungsmentalität eingenistet: Die einen waren ummauert, die anderen eingemauert. Hier Hunde und Minen, dort Mauersprayer und Touristentürme.

Die Blockade und das Ultimatum, die Schüsse und die Schikanen bleiben unvergessen. Aber ist es nicht auch wahr, dass die DDR bei offenen Grenzen nicht weiter lebensfähig gewesen wäre und dass die Sowjets nicht bereit waren, die DDR auf- und abzugeben? Dies festzustellen, heißt nicht, den Mauerbau zu rechtfertigen. Jedem einzelnen Opfer wird "Erklärung" zum Hohn - gleichwohl ist sie nötig.

An der PDS scheiden sich die Geister. Gäbe es heute statt einer starken PDS eine (post)kommunistische Splitterpartei, wäre es dann 89/90 gelungen, die demokratischen Sozialisten aus der SED in die SPD zu integrieren? In der PDS ist auch noch SED, keine Frage. Aber sie respektiert die Regeln der parlamentarischen Demokratie und das Grundgesetz. Die PDS konnte im Osten in Lücken springen, die die SPD gelassen hatte und profiliert sich als Anwalt von Ostinteressen. So fremd (mir) das PDS-Milieu geblieben ist, so wenig sachgemäß wäre es, alte Schlachtordnungen neu zu installieren, statt die Auseinandersetzung zu entfeinden.

Zumal in West-Berlin ist die Atmosphäre indes von einem horror vacui bestimmt: Der Gegner in über 40 Jahren darf nicht abhanden kommen. Was tun, wenn es keine Kommunisten mehr gibt, vor denen man sich schützen müsste? Wie gut, dass es Sahra Wagenknecht und bornierte Hinterstuben-Altgenossen in Hellersdorf gibt. Da sind Gysi und Pau, Brie und Klein nur störend, diese "trojanischen Pferde der Altkader".

Der demokratischen Kultur und dem Zusammenwachsen in Berlin und in ganz Deutschland wäre gedient, wenn man den politischen Ideen der PDS fortan argumentativ und nicht ideologisch begegnete. Jedenfalls nicht mehr mit den Schlagworten der Blockkonfrontation. Zu einer Neuauflage des Kalten Krieges fehlt der Partner. Vergangenes muss als Vergangenes bewertet werden. Wo die Streitkultur verkommt, verliert Demokratie.

Wir können froh sein, dass der Arbeiter- und Mauernstaat implodiert ist. Wir müssen den Schutt gemeinsam wegräumen, statt ihn mit Eifer der PDS vor die Tür zu häufeln. Die heutige Pleite Berlins hat (vorerst) nicht die PDS zu verantworten. Macht nichts! Solange diese Konglomeratspartei - der man einen fortschreitenden Prozess der Selbstauseinandersetzung schwerlich absprechen kann - als Projektionswand für den abhanden gekommenen Feind dient, braucht Deutschland die PDS. Wie lange noch?

Friedrich Schorlemmer

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