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Meinung: Pille oder Wein

Cholesterinstudie: Schädliche Blutfette müssen stärker gesenkt werden als bisher angenommen

Von Alexander S. Kekulé

WAS WISSEN SCHAFFT

Der Feldzug gegen Blutfette ist für die Pharmaindustrie ein dickes Geschäft. Medikamente zur Senkung des besonders schädlichen Blutfetts LDL- Cholesterin füttern die Branche jedes Jahr mit satten Milliardenumsätzen, die angesichts leerer Forschungspipelines so manche Pillenfirma vor dem Hungertod bewahren. Folglich wird um die Fleischtöpfe der Gesundheitsbudgets bis aufs Messer gekämpft. Besonders heiß brennt der Streit zwischen dem bewährten Pravasin von Bristol-Myers Squibb (2,8 Milliarden Dollar Jahresumsatz) und dem neueren Sortis von Pfizer, das sich in wenigen Jahren zum umsatzstärksten Medikament überhaupt entwickelt hat (über 10 Milliarden Dollar pro Jahr).

Um das verlorene Terrain wieder gutzumachen, gab Bristol-Myers Squibb eine gigantische Studie in Auftrag, deren Name bereits Programm war: „Prove It“ (Beweis es). Die klinische Studie sollte beweisen, dass Pravasin genauso gut vor Arterienverkalkung und Herzinfarkt schützt wie Sortis, obwohl es den Cholesterinspiegel weniger stark senkt. Ein Aufgebot von über 30 Wissenschaftlern untersuchte zwei Jahre lang das Schicksal von 4162 Patienten, die nach einem Herzanfall mit Pravasin oder Sortis behandelt wurden.

Am Montag wurde das mit Spannung erwartete Ergebnis präsentiert: Die mit Sortis behandelten Patienten bekamen deutlich weniger Herzinfarkte und Angina-Pectoris-Anfälle, benötigten seltener eine Bypass-OP und lebten länger – „Prove It“ beweist also genau das Gegenteil dessen, was sich der Auftraggeber Bristol-Myers Squibb erhofft hatte. Dem bereits durch einen Finanzskandal angeschlagenen Konzern, für den Pravasin der größte Umsatzbringer ist, stehen Hungerzeiten bevor.

Das Ergebnis hat auch für die Prävention von Herzerkrankungen wichtige Konsequenzen. Bisher galt, dass das LDL-Cholesterin für die allgemeine Vorbeugung unter 160, bei bereits begonnener Gefäßverkalkung unter 100 Milligramm pro Deziliter liegen soll. Die „Prove It“-Studie beweist nun, dass eine viel drastischere Senkung des LDL-Cholesterins, nämlich auf Werte um 60, die Verkalkung der Herzkranzgefäße am besten verhindert. Für die betroffenen, meist übergewichtigen Patienten, die ihr LDL-Cholesterin mit Diät und Pillen gerade mal auf 100 drücken konnten, brechen harte Zeiten an: Besonders in den USA, dem Rekordhalter bei Fastfood und Fettleibigkeit, dürfte der Umsatz mit Sortis (US-Name: Lipitor) nochmals deutlich ansteigen.

Dabei ist der schnelle Griff zur Pille keineswegs der beste Weg, um die Zivilisationskrankheit Gefäßverkalkung in den Griff zu bekommen. Im finnischen Nordkarelien lieferten sich in den 70er Jahren mehrere Dörfer einen Wettbewerb um die beste Cholesterin-Senkung. Das Ergebnis war frappierend: Allein die Änderung schädlicher Lebensgewohnheiten verringerte tödliche Herzinfarkte bei Männern innerhalb weniger Jahre um 73 Prozent. Das simple Erfolgsgeheimnis aus Finnland lautet: Nicht rauchen, viel Gemüse und Fisch, Vermeidung tierischer Fette, Reduktion von Übergewicht und regelmäßiger Ausdauersport. Wem das skandinavische Rezept zu langweilig ist, dem bietet eine griechische Untersuchung die richtige Ergänzung: Durch ein halbes Glas Wein alle zwei Tage kann das Infarktrisiko zusätzlich gesenkt werden.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J.Peyer

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