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Auf Erfolgskurs: Die Piraten.

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Piraten-Generation: Wo der Geist der Utopie heute wohnt

Schon einmal hat die politische Klasse den Zeitgeist verpasst. Zur Strafe gab's die Grünen. Nun droht den Etablierten, was ihnen schon einmal passiert ist.

Von Robert Birnbaum

Der Geist der Utopie geht seltsame Wege. Vor ein paar Jahrzehnten zum Beispiel ist das Reich der Freiheit oft jenseits des Konsums vermutet worden – in Jute statt Plastik, Windrad statt Atomkraftwerk, Bewegung statt Partei. Die etablierte Welt, insbesondere die politische Klasse hat die Herausforderung durch die Turnschuh-Romantiker bestenfalls belächelt. Sie wurde für den Hochmut mit den Grünen bestraft. Viel gelernt hat sie daraus nicht. Sie ist auf dem besten Weg, den Fehler zu wiederholen.

Man erkennt das an dem ratlos- verächtlichen Staunen, das die Piraten nach wie vor auslösen, ebenso wie an den hektischen Reaktionen auf die scheinbar aus dem Nichts geborenen Proteste gegen das Acta-Abkommen. Dass sich da in einer virtuellen Parallelwelt Kräfte aufbauen, die in die reale Welt hineinzuwirken beginnen, das immerhin schwant vielen. Aber was dahintersteckt, bleibt den meisten schon deshalb verschlossen, weil ihnen der technische Zugang fehlt.

Ihnen entgeht deshalb völlig, dass der Geist der Utopie vom alternativen Bauernhof still weitergewandert ist ins Dickicht des Datennetzes. Eine Generation von Stubenhockern hat am Bildschirm ihr Reich der Freiheit entdeckt – einen weltweiten Versammlungsraum, in dem potenziell jeder gleichberechtigtes Mitglied einer Gemeinschaft ist, die sich ihre Regeln selber gibt.

Natürlich ist dieses Selbstbild zu idyllisch, um ganz wahr zu sein. Aber dass beispielsweise das Online-Lexikon Wikipedia nicht zum Tummelplatz von Obskuranten geworden ist, sondern zum recht zuverlässigen Nachschlagewerk, belegt die Möglichkeiten der digitalen Selbstregulierung. Entsprechend empfindlich, ja apokalyptisch reagiert die Gemeinde auf alles, was nach dem Versuch riecht, ihr die Freiheit zu beschneiden.

Anbiedern an Andere ist keine gute Idee

Von außen wirkt diese Reaktion oft nur wie die Empörung verwöhnter Konsum-Kids darüber, dass sie für Musik zahlen sollen. Aber es steckt mehr dahinter. Ein Netzaktivist hat es bei einer Demo gegen das Acta-Abkommen auf die Formel gebracht: „Die CDU hat kein Verhältnis zur Kultur des Teilens im Internet.“ Das ist – abgesehen davon, dass die CDU damit längst nicht alleine steht – ein hellsichtiger Satz. Dass die Codes von Software frei zugänglich zu sein haben, gehört zu den Pioniermythen der Netzaktiven, aus denen sie andere Ansprüche ableiten. Für Parteien, in deren Wertekanon Begriffe wie Wertschöpfung, Wettbewerb und Wachstum eine zentrale Rolle spielen, ist dieser Gedanke noch fremdartiger als die Strickpullover-Sparsamkeit der Ökofreaks.

So droht den Etablierten, was ihnen schon einmal passiert ist: Weil sie das Lebensgefühl einer Generation nicht erkennen, geht die ihnen von der Fahne. Weil sie nicht sehen, dass es in allen Sachkonflikten zugleich um Selbstverständnis geht, reagieren sie über und falsch. Einen Kampf der Kulturen können sie nur verlieren. Anbiedern ist aber auch keine gute Idee. Vermutlich wäre schon viel gewonnen, wenn sie versuchen würden, ihre neuen Gegenüber zu respektieren: als Bewohner eines fremden Landes im Geist der Utopie.

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