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Pleite der Gemeinden: Wie wir leben

Natürlich sind viele Gemeinden nicht unschuldig an ihrer Lage. Doch das ändert nichts daran, dass die Gemeinden in Deutschland auf unverantwortliche Weise unsolide behandelt werden. Wenn eine geplante Kommission hier wirklich etwas ändern sollte, dann müssten die Kommunen künftig von Anfang an in jede bundesstaatliche Entscheidung eingebunden werden, die Auswirkungen auf ihre Ebene hat.

Wachstum, Bildung, Zusammenhalt“ ist der Koalitionsvertrag jener Regierung überschrieben, die heute 100 Tage im Amt ist und deren erste Bilanz sich so anfühlt, als berichte man über einen hundertjährigen Krieg und nicht über eine schwarz-gelbe Erfolgsgeschichte. Immerhin: Wer so schlecht gestartet ist, kann nur noch besser werden.

Das kann man leider von einer anderen Verwaltungsebene unseres Landes, der der Gemeinden, nicht sagen. Auch für sie gilt ja „Wachstum, Bildung, Zusammenhalt“ als Basis eines gedeihlichen Miteinanders und einer Entwicklung der Gesellschaft zu einer, bei aller erwünschten Pluralität, lebenswerten Gemeinschaft. Statt Wachstums erleben die Kommunen eine ihre Grundfesten erschütternde Finanzkrise, die erst jetzt die städtischen Kämmerer erreicht hat. Die Gewerbesteuereinnahmen, sie machen den größten Einnahmebrocken im Haushalt aus, sind im Schnitt um 17,4 Prozent eingebrochen. In manchen, bislang wegen der großen Exportabhängigkeit der örtlichen Industrien besonders verwöhnten Städten, machte der Rückgang sogar 40 Prozent aus, und Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag rühmen sich seine Urheber in Zeile 84 zwar mit der Prophezeiung: „Die steuerlichen Entlastungen schaffen die nachhaltige Grundlage für gesunde Staatsfinanzen“. Tatsächlich aber führt die Merkel-Westerwelle’sche Wachstumsbeschleunigung auf Pump bei den Kommunen zunächst einmal zu Mindereinnahmen von 1,6 Milliarden Euro.

Angesichts des für 2010 erwarteten kommunalen Gesamtdefizits von zwölf Milliarden Euro sieht das nicht dramatisch aus, aber de facto wird es drastische Einschränkungen der kommunalen Leistungen geben. Geschlossene Schwimmbäder, marode Schulen und Kindergärten, eingestellte Buslinien, verschlossene Stadttheater sind unmittelbare Folgen der Etatlücken. Schaut man auf den durch das jüngste Konjunkturprogramm ausgelösten Bauboom an Schulmensen und Turnhallen, glaubt man nicht so recht an die Misere. Wie allerdings in Berlin geradezu exemplarisch zu besichtigen ist, kann ein einmaliger Investitionsschub vielleicht der siechenden Konjunktur Impulse geben, nicht aber jahrzehntelange Vernachlässigung der Bausubstanz ausgleichen.

Natürlich sind viele Gemeinden nicht unschuldig an ihrer Lage. In guten Zeiten haben sie sich nicht um den Schuldenabbau gekümmert. Andere, wie Berlin, haben wegen des einmaligen Geldregens Wasser- oder Elektrizitätswerke verscherbelt und ärgern sich jetzt, weil private Erwerber klotzig verdienen und Wasser immer teurer wird. Wieder andere haben in abenteuerlichen „Sell- and-lease-back“-Verfahren Substanz verkauft und rückgemietet. Die Hasardeure unter den Kämmerern verstießen dann auch noch gegen das eherne Gesetz jeder Geldpolitik: Sie finanzierten langfristige Schulden mit kurzfristigen Krediten.

All das ändert nichts daran, dass die Gemeinden in Deutschland auf unverantwortliche Weise unsolide behandelt werden. Wenn eine geplante Kommission hier wirklich etwas ändern sollte, dann müssten die Kommunen künftig von Anfang an in jede bundesstaatliche Entscheidung eingebunden werden, die Auswirkungen auf ihre Ebene hat. Heute werden sie nicht gefragt oder unzureichend informiert. Dass sich das ändert, ist eine ganz wesentliche Voraussetzung für Wachstum, Bildung und Zusammenhalt auf jener Ebene, die uns alle ganz unmittelbar angeht – da, wo wir wohnen und leben.

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